Klein aber fein

Ein Plädoyer für einen Buchmessen-Besuch gerade der kleineren Verlage

Es ist erstaunlich und höchst verdienstvoll dazu, dass und wie uns insbesondere kleinere, unabhängige Verlage immer wieder ins Leserglück katapultieren. Zumindest ich empfinde es so, weshalb ich gerne und zuvörderst, wie sicherlich schon bemerkt wurde, „Rauchzeichen“ zu deren Publikationen versende.

Bücher,erwähnt & besprochen

Bücher,erwähnt & besprochen

Beispielhaft für viele engagierte und literaturbegeisterte Verleger seien hierzu die Veröffentlichungen des Weidle Verlags genannt. Er bescherte uns neben vielen anderen die isländischen Kult-Romane von Pétur Gunnarsson, zuletzt „Die Rollen und ihre Darsteller„, aber eben auch Octave Mirbeaus wohl gewichtigstes Werk, den Reise-Roman „628 – E8„ sowie die dieser Publikation wahrlich ebenbürtige Trouvaille „Die Manon Lescaut von Turdej“ von Wsewolod Petrow. Und aktuell reißt er mit Carl Nixon´s „Settlers Creek“ (übrigens in der vorzüglichen Übersetzung des Verlegers selbst) auch die Rezensenten wiederum zu Begeisterungsstürmen hin.

Genannt sei, neben den vielen Ungenannten, die es verdienten, hier erwähnt zu werden, auch der Verbrecher Verlag, der u. a. mit dem sorgfältig kommentierten Widerstandsroman „Wird Zeit, dass wir leben“ mutig eine Werkausgabe des in Vergessenheit zu geraten drohenden, 2008 gestorbenen Schriftstellers Christian Geissler beginnt – und nicht zuletzt der Transit Verlag: ihm verdanken wir, verdanke ich Ivan Klímas Erstlingsroman „Stunde der Stille“, ein Buch von realistischer und zugleich poetischer Wucht über die Nachkriegszeit in der Tschechoslowakei, das aus welchen Gründen auch immer von der groß-verlegerischen Heimat des Autors in Deutschland nie zur Übersetzung angegangen wurde.

cover_Aki_finnishnature.inddIn diesem Herbst legt der Transit Verlag einen weiteren Roman vor, der mich begeistert sein lässt: „Das Hungerjahr“. Es ist wiederum ein Debüt, ein schmales, leichtes Buch von gerade einmal 120 Seiten – aber von einer literarischen Kraft, die lange nachwirkt. Aki Ollikainen, der 1973 geborene Autor dieses von Stefan Moster souverän aus dem Finnischen übertragenen Romans, schaut hierin zurück auf die für Europa extreme Kälte des Winters 1867/1868, die besonders im damals zum Russischen Reich gehörenden Großfürstentum Finnland zahlreiche Opfer forderte. Erzählt wird die Geschichte von Juhano und Marja, die als ärmliche Bauern zusammen mit ihren Kindern Mataleena und Juho ein Leben am Rande des Überlebens fristen. Doch dieser polarkalte Winter und die durch ihn ausbrechende Hungersnot lassen selbst dieses „Überleben“ nicht mehr zu. Juhano liegt noch im Sterben, als seine Frau und die Kinder ihn auf dem kleinen Hof in der finnischen Einöde zurücklassen, in der Hoffnung, so wenigstens das Leben ihrer Nachkommen retten zu können. Nach St. Petersburg wollen sie sich durchschlagen, ein im Strom der wachsender Bettlerschar, die auf der Suche nach den stets weniger werdenden milden Gaben durch das Land zieht, schier aussichtloses Vorhaben.

„Der Hunger gleicht dem Katzenjungen, das Weiden-Lauri in einen Sack gesteckt und im Eisloch ertränkt hat. Es kratzt mit seinen kleinen Krallen und das tut schneidend weh, es kratzt wieder und wieder, bis es erschöpft ist und sich fallen lässt … und dann sammelt es doch wieder Kräfte und fängt erneut an zu kämpfen.“

Für die meisten jedoch ist es ein vergeblicher Kampf – nur wenige überleben ihn, und selbst diejenigen, die helfend in diesen Kampf eingreifen wollen, scheitern resigniert.

Und so durchwebt diese Elendsreportage, dieses existentielle menschliche Drama, von Beginn an die Trauer – und das in einem derart präzisen, dem Thema adäquaten literarischen Duktus, dass einen Überlebens- und Todeskampf nahe kommen, ja, dass mir bei manchen Passagen gar war, als würde ich die eisige Kälte selber spüren. Ein beeindruckendes literarisches Erstlingswerk.

Eine Anmerkung sei noch gestattet: Von einer Vielzahl solcher Bücher heißt es, sie würden in den Feuilletons zwar oftmals hoch gelobt, doch ihr Verkaufserfolg bliebe nicht selten hinter den solcher Wertschätzung entsprechenden Erwartungen zurück… Das können und sollten zuallererst wir ändern: die Leser! Eine gute Buchhandlung bestellt das Buch sofort, selbst wenn sie es nicht im Regal stehen hat!

Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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8 Antworten zu Klein aber fein

  1. gsohn schreibt:

    Hat dies auf Ich sag mal rebloggt.

  2. gsohn schreibt:

    Wird ja auch der Schwerpunkt unserer Sondersendung von Wortspiel-Radio sein. Direkt von der Frankfurter Buchmesse.

  3. Hallo Wortspiele,
    danke für den schönen Artikel – für mich ein feiner Hinweis, den ich mir für meinen Messe-Besuch am Freitag gleich mal merken werde.
    Liebe Grüsse, Kai

    • schifferw schreibt:

      Liebe Kai,
      ich freue mich, dass der Artikel einen solchen „Vorsatz“ anregen konnte… Gute Grüße, Wolfgang Schiffer

  4. dasgrauesofa schreibt:

    Lieber Wolfgang,
    da hast Du ja Verlage vorgestellt, die ich bisher noch gar nicht kannte. Vielen Dank für die Anregungen. Es ist doch eine gute Sache, wenn wir hier in den Blogs immer wieder über kleinere Verlage und ihre Publikationen berichten, so können wir sie ein wenig mehr in die Wahrnehmung und ins Interesse der Blogger und der „nur“-Leser bringen.
    Viele Grüße, Claudia

    • schifferw schreibt:

      Liebe Claudia,
      ich teile Deine Einschätzung – und die damit verbundene Hoffnung. Denn solche Verlage, die sich keine großen Marketingkampagnen usw. leisten können, brauchen Leser, Leser und noch mal Leser…
      Gute Grüße, Wolfgang

  5. Pingback: Last Call für den Island-Abend in Köln und den #Indiebookday | Ich sag mal

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