Ivan Klímas Debütroman in deutscher Übersetzung
„Stunde der Stille“, von Maria Hammerich-Maier mit sicherem Gespür für Ivan Klímas Sprache übersetzt und mit einem klugen, biografisch und zeitgeschichtlich einordnenden Nachwort versehen, umfasst die Zeit von den letzten Kriegsmonaten bis zum Beginn der 50er Jahre. Ort des Geschehens ist ein kleines Dorf im ost-slowakischen Grenzgebiet, dessen Bewohner die Gräuel der faschistischen Besatzung und marodierender slowakischer Schwarzhemden ebenso erdulden müssen wie die anhaltenden Überschwemmungen des Flusses, die sie in einem stetigen Überlebenskampf gefangen halten.
Hierhin treibt es Martin Petr, Bauingenieur und Landvermesser, der sich nach der Ermordung seiner ersten großen Liebe, einer Widerständlerin, der kommunistischen Erneuerungsbewegung anschließt und seinen Beitrag leisten will zum Aufbau einer freien und gerechten Gesellschaft.
Wer auf der Basis dieser Ausgangssituation allerdings einen sozialistischen Aufbauroman erwartet, wie ihn vielleicht auch das Entstehungsdatum und Ivan Klímas damalige Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei nahe legen könnten, der wird bestens überrascht. Nicht eine der Figuren in dem breit gefächerten Personenspektrum kommt absichts- oder gar ideologiebeladen daher; es scheint vielmehr, als habe der Autor sie gar nicht erfunden, sondern in all ihrer jeweils individuellen existentiellen Dramatik nur gefunden und sie im Vermögen seiner dichterischen Kraft sodann mit dem historischen Geschehen und den Gewalten der Natur verwoben.
Tatsächlich kennt Klíma die Menschen und die Region: 1958 war er dort im Auftrag der Literaturzeitschrift „Literární noviny“ zu Recherchen für eine Reportage-Reihe unterwegs; diese verarbeitete er zunächst auch zu einem Filmskript und schließlich zu dem vorliegenden Roman, der anders als das Filmprojekt die Zensur passieren konnte.
Und so begegnen wir heute den Menschen, die der Autor damals getroffen haben mag: dem alten Laborecký, den die Faschisten wegen seiner pazifistischen Gesinnung verschleppen, der alten Jurcova, der die Kommunisten ihr unter Mühen wiedererrichtetes Heim nehmen, dem Priester, der an seinem Glauben zweifelt, weil er aus Angst vor den Schwarzhemden zum Verräter wurde, Smoljak, dem alten Partisanen, der wegen dieses Verrats seine Familie verlor, und neben vielen anderen schließlich Michal Šeman, Sohn eines Kleinbauern, der zu einem despotischen Parteikarrieristen wird.
Und eben Martin Petr, dem Städter, der ebenso naiv wie aufopferungsbereit an eine bessere Weltordnung glaubt und dabei nicht nur an der Willkür und Korruption des neuen Systems scheitert, sondern mehr noch an dem beinah archaischen Zweifel der meisten Dorfbewohner an einer neuen Heilslehre und jeglichem Fortschritt.
Begegnen sie ihm bei seiner ersten Rede, in der er sie von seinem Projekt eines Deichbaus gegen die Wasserfluten überzeugen will, noch mit lastender Stille, so hetzen sie zum Schluss die Hunde auf ihn.
„Ich dachte, ich könnte den Menschen helfen, glücklich zu werden“, fasst seine Frau, eine linientreue Lehrerin, seine und ihre eigene Desillusionierung am Ende zusammen. Ivan Klíma, der später wegen seiner kritischen Haltung aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde und Publikationsverbot erhielt, muss das schon im Keim des Systems und in dessen Widerspruch zur menschlichen Natur angelegte Scheitern früh geahnt haben: sein Roman zeugt davon in ebenso realistischer wie poetisch wuchtiger Weise.
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