Ausschnitt des Covers von Ljóð og myndir / Gedichte und Bilder, Verlag Omdurman, Reykjavík 2011
Mit Jónas E. Svafar, Jónas E., dem „Schlafenden“ (1925 – 2004), stellen wir, das Übersetzer-Duo Gíslason/Schiffer, in der Reihe Wortlaut Island des Signaturen-Magazinsdiesmal einen Dichter aus Island vor, der dem geistigen Umfeld von Islands Atomdichtern, den Erneuerern der isländischen Poesie zugerechnet wird. Er gilt als ein Mann mit einem ungewöhnlichen Lebenswandel, u.a. wird ihm nachgesagt, zwei Jahre in einem Zelt gelebt und sich ausschließlich von Roggenbrot ernährt zu haben; andere sagen, er habe jahrelang geschlafen und sei so zu seinem Namen Svafár (sinngemäß: Der Schlafende) gekommen. Er veröffentliche vier Gedichtbände, die er zumeist selbst illustrierte. Im Verlag Omdurman erschien 2011 ein Sammelband mit den meisten seiner Gedichte uns Zeichnungen.
Das folgende Gedicht, vor mehreren Jahrzehnten entstanden, doch wohl von Gültigkeit, solange es Menschen gibt, ist ihm entnommen.
Radioaktive Monde
über der weltkugel des hirns
gehen skelette arm in arm
die augenhöhlen der technik
weinen der armeen blut
maschinengewehre arbeiten auf schreibmaschinen
an der geschichte der menschheit
drachen oder bakterien kriechen
ins morgengrauen
aus den ideen der wolken
stürzen wasserstoffbomben
aus der atmosphäre
spannt sich der todeskampf des feuers
Ein weiterer Text des Autors findet sich (sowie viele Gedichte anderer Autorinnen und Autoren aus Island) mit einem Klick auf die Seite von Wortlaut Island.
Herzlichen Dank dem Signaturen-Magazin für dieses Forum, das es der isländischen Poesie geschaffen hat, und Ihnen und Euch für Ihr und Euer Interesse.
Das Übersetzer-Duo Gíslason/Schiffer dankt im Namen des Autors aus Island und des ELIF Verlags für die feinen Zeilen!
Diese Lyrik ist bodenständig und entzieht sich nicht dem Leser. Es sind Gedichte, die wie jede Lyrik, etwas ganz Persönliches sind. Durch die Thematik und die nahbare Sprache fühlt man sich mit den Texten schnell verbunden. Das Buch „Schnee über den Buchstaben“ beinhaltet zwei Gedichtbände, die um die persönliche Erfahrung und das Zusammenleben einer Familie […]
Von Beginn an war es ein Herzenswunsch des russischen Theaterhistorikers, Übersetzers und Lyrikers Vladimir Koljazin, dass seine in 3 poetischen Gleichnissen formulierte Auseinandersetzung mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine auch im deutschsprachigen Raum zu lesen sein möge.
Auf der Basis seiner eigenen Rohübersetzung haben Kathinka Dittrich, die ehemalige Leiterin mehrerer Goethe-Institute, u.a. in Moskau, und spätere Kulturdezernentin der Stadt Köln, und ich eine Fassung erstellt, der erste und der zweite Teil des Triptychons, wie der Autor sein Werk nennt, sind in der Online-Literaturzeitschrift Signaturen-Magazinunter den Titeln Gleichnis in allen Sprachensowie Das Gleichnis von der Dreifaltigkeit bereits erschienen; vor kurzem nun hat hier auch die dritte und letzte Teile seine Veröffentlichung erfahren: Das Gleichnis Nr. 3 – Über die Entführung der Ukraine.
Hier nun der Beginn von Gleichnis Nr. 3; in Gänze zu lesen ist es bei Interesse unter diesem LINK.
Die Welt bebt seit diesem 24.02. bis zu diesem 24. etc …
Durch das heilige Feuer der mythologischen Geschichten erhitzt
Трепещет мир от сей 24.02 до сей 24.etc поры …
У священного костра мифологических историй греясь
Ach, hätten wir doch von den Alten die Wissenschaften des Leidens und die Wege der Gerechtigkeit gelernt
О если бы у древних наукам страданий и путям исправленья мы обучались
Komm, komm nach Russland, du Licht der Erleuchtung
Приди приди на Русь прозренья свет
Erschalle, erschalle in Russland, du Alarmruf der Reue
Звучи звучи призыв набатный покаянья на Руси
„Februar. Holen Sie sich Tinte und weinen Sie! Schreiben Sie über das Schluchzen im Februar …“ ¹
Wenn du Papa Zeus nur kennen würdest – Zeus! – Wie zwiespältig hingegen
ist doch dein Liebesakt, er gebar Liebe und Hass zugleich
Но знал бы ты папаша Zeus – Zeus! – о сколь амбивалентным был
Любовный твой поступок Рождал любовь И ненависть рождал
¹ Zitat aus einem Gedicht von Boris Pasternak, 1912
Vladimir Koljazin, geb. 1945 nahe Neshin in der Ukraine, seit dem Armeedienst 1968 in Moskau lebend, ist ein russischer Theaterhistoriker, Germanist, Übersetzer und Lyriker. Er absolvierte 1972 das Staatliche Institut für Theaterkunst, später und bis heute arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Dr.h.c.) des Staatlichen Instituts für Kunstwissenschaft. Er übersetzte u.a. Arthur Schnitzler, Martin Sperr, R.W. Fassbinder, Peter Handke, Botho Strauss, Heiner Müller und Elfriede Jelinek ins Russische. Von ihm erschienen in Russland u.a.: » Monografien über deutsch-russische Theaterbeziehungen« (1998, 2. erw. Auflage 2013); »Mysterium und Karneval« (2002); » Peter Stein: Schicksal eines Theaters« (2012), Hrsg. und Co-Autor »Erwin Piscator« (2022). Poetische Lesungen in Moskau, Berlin, Wien. Vladimir Koljazin lebt in Moskau.
Und wieder sind 14 Tage vergangen seit dem letzten Beitrag in der Reihe Wortlaut Island des Signaturen-Magazins, des Forums für autonome Poesie, was seinen Herausgeber Kristian Kühn natürlich sofort veranlasst, einen weiteren Vorschlag unsererseits, des Übersetzerduos Gíslason/Schiffer, von der stetig flacher werdenden Zukunftshalde zu nehmen und ins Netz zu stellen.
Der Name des Dichters klingt diesmal gar nicht isländisch, und tatsächlich ist Jakub Stachowiak nicht mal in Island geboren, lebt hier aber seit einiger Zeit und erlebt erste Erfolge als Autor von in isländischer Sprache geschriebenen Gedichten.
So ist das folgende Gedicht, das ich hier von dreien im Signaturen-Magazin veröffentlichten Texten vorstellen will, beim diesjährigen Wettbewerb um den Ljóðastafur Jóns úr Vör, den Poesiestab Jón úr Vör, benannt nach dem isländischen Bibliothekar und Dichter Jón úr Vör (1917 – 2000), mit dem 2. Platz ausgezeichnet worden.
GETRÄUMT IN DER TAGUNDNACHTGLEICHE
im sprühregengleichen
Septembernebel
gehe ich auf Zehenspitzen
störe nicht die Stille
und für längere Zeit
hört man nichts
bis die Stille so tief wird
dass ich das Schnarchen
eines Sargmachers höre
aus dem Haus nur wenig entfernt
ich folge ihm bis ich
zu einem merkwürdigen Friedhof komme
statt Grabsteine
schauen dort Geweihe von blinden
Damhirschen aus der Erde hervor
Wen dieses Gedicht nun neugierig gemacht hat auf die beiden weiteren Texte des Autors, mit denen er erstmals in deutscher Übertragung vorgestellt wird, der klicke nun auf diesen LINK; er führt zur Seite Wortlaut Island und damit zu den Beispielen von Jakub Stachowiak sowie zu den Gedichten von inzwischen mehr als 40 weiteren Lyrikerinnen und Lyrikern aus Island.
Jakub Stachowiak, geboren 1991 in Polen, lebt in Reykjavík; er studiert Kreatives Schreiben an der Universität von Island und ist als Postbote sowie bereits als Schriftsteller tätig. Nach ersten Gedichten in Zeitschriften wie Tímarit Máls og menningar u.a. sowie in der Anthologie Pólífónía af erlendum uppruna, einer Sammlung von Gedichten ausländischer Dichter, die in Island leben, veröffentlichte er 2021 einen ersten, mit einem Förderstipendium bedachten Gedichtband: Næturborgir / Nächtliche Städte.
Alljährlich werden alle deutschsprachigen unabhängigen Verlage aufgefordert, jeweils ein Buch, das sie für eines der Besten aus ihrem aktuellen Programm halten, zu einem HOTLIST genannten Wettbewerb einzureichen. Die Summe dieses Einreichungen stellt insgesamt die Spitze dessen dar, was unabhängige Verlage für die Qualität und die Vielfalt in unseren Buchhandlungen leisten.
Ich darf mich heute sehr freuen!
Hat doch der ELIF Verlag nicht nur meinen dort erschienenen Gedichtband Dass die Erde einen Buckel werfe zur HOTLIST 2022 eingereicht, das von dem isländischen Multikünstler Ragnar Helgi Ólafsson gestaltete Buch ist von einem unabhängigen Kuratorium unter 191 Nominierungen sogar auf die Liste der 30 Bücher gewählt worden, die nun ins weitere Rennen gehen.
Und das sieht wie folgt aus: Leserinnen und Leser können bis zum 15. August im Internet mit darüber abstimmen, ob es dieser Titel unter die letzten 10 schafft. Aber: Nur 3 der 30 Titel, die mit den meisten Stimmen, gelingt dies auf der Basis des Publikumsvotings. 7 weitere bestimmt eine Jury, die am Ende unter allen 10 auch den Preisträger der HOTLIST 2022 ermittelt.
Natürlich drücke ich dem ELIF Verlag und mir die Daumen, dass wir diese letzte Runde erreichen mögen. Jede Stimme zählt. Ich danke herzlichst für Deine / Ihre Stimme!
Zur Abstimmung über Dass die Erde einen Buckel werfe (nebst Leseprobe und weiteren Informationen) geht es hier:
Sibylla Schwarz (* 24. Februar 1621 Greifswald, † 10. August 1638 ebenda) Anmerkungen zu diesem Gedicht (das in der Erstausgabe von 1650 durch einen Druckfehler „Betrachtung der Welt“ überschrieben ist) und speziell zu den Versen 5-8 hier unter dem Gedicht. Textfassung und Kommentar nach...
Dieses Jahr findet ihr hier Findesätze, Findesatz-Gedichte und Schnipsel-Gedichte. Das Projekt besteht darin, dass ich regelmäßig einen Satz sammle, den ich irgendwo lese und den jeweiligen Satz am Tag danach in ein Gedicht einbaue. An den Wochenenden erstelle ich Gedichte aus Zeitungsschnipseln.