Thomas Kling und die lyrischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs

Ein dreiteiliger Abend im Literaturhaus Köln – und ein Hörbuch zum Schluss!

Johann Reißer bei der Ankündigung des Programms © Wolfgang Schiffer

Johann Reißer bei der Ankündigung des Programms © Wolfgang Schiffer

Nach längerer Zeit habe ich mich am Mittwochabend (manche würden wohl sagen: trotz des Champions League-Spiels FC Porto gegen Bayern München…) wieder einmal zu einer Veranstaltung des Literaturhauses Köln aufraffen können – wahrscheinlich habe ich mich in den zurückliegenden Wochen zu sehr mit Literatur und Dokumenten zum Ersten Weltkrieg beschäftigt, insbesondere auch mit der Lyrik, als dass ich mir dieses Programm in drei Teilen hätte entgehen lassen können…
Zumal es auch noch versprach, in seinem letzten Teil an den am 1. April vor zehn Jahren gestorbenen Ausnahme-Dichter Thomas Kling zu erinnern.

Zunächst aber fand in der Texteinrichtung und Inszenierung des Leiters der Theatergruppe „PlastikWorks“, Johann Reißer, die Lyrikperformance Katastrophen/Formen – 9 lyrische Bilder zum Ersten Weltkrieg statt – ein mit Gedichten von – Anna Achmatowa, Alfred Lichtenstein, Georg Heym, Wladimir Majakowski, Rainer Maria Rilke, Guillaume Apollinaire, Filippo Tommaso Marinetti, Erich Mühsam, Karl Kraus, Georg Trakl – und von vielen anderen bis zur Totenklage von Hugo Ball dramaturgisch gespannter Bogen, in dem die anfängliche Kriegseuphorie und Begeisterung am technischen Fortschritt, den die Kriegsmaschinerie mit sich bringt, in Desillusionierung und in der Hoffnung auf Frieden enden.

Die Darstellerinnen und der Darsteller der Performance bei der Arbeit © Wolfgang Schiffer

Die Darstellerinnen und der Darsteller der Performance bei der Arbeit © Wolfgang Schiffer

Das durch Visualisierung von Zeitungsausschnitten, Namen und Daten der Dichterinnen und Dichter, Kriegs- und sonstigen Bildern unterstütze Konzept ging m. E. sehr gut auf, die Interpretationen waren jeweils stimmig, vor allem das Lautgedicht des Dadaisten Hugo Ball, der sich zunächst noch freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet hatte, aber für untauglich erklärt wurde, wussten Iwona Mickiewicz, Carolin Bohn und Julia Trompeter sowie Xaver Römer – mit Ausnahme von Carolin Bohn neben ihrer Performance-Tätigkeit allesamt auch ausgewiesene Literaten – in ihrer Vierstimmigkeit eindrucksvoll umzusetzen.

ombula
take
bitdli
solunkola
tabla tokta tokta takabla
taka tak
Babula m’balam
tak tru – ü
wo – um
biba bimbel
o kla o auwa
kla o auwa
la – auma
o kla o ü
la o auma
klinga – o – e – auwa
ome o-auwa
klinga inga M ao – Auwa
omba dij omuff pomo – auwa
tru-ü
tro-u-ü o-a-o-ü
mo-auwa
gomun guma zangaga gago blagaga
szagaglugi m ba-o-auma
szaga szago
szaga la m’blama
bschigi bschigo
bschigi bschigi
bschiggo bschiggo
goggo goggo
ogoggo
a-o –auma

Huis stad ik, so lautete dann der zweite Teil des Abends – eine auf Deutsch und Flämisch vorgetragene Interpretation des gleichnamigen Gedichts von Paul van Ostaijen, das, so der Information im Programmzettel zu entnehmen, eine kleine Szene im von den deutschen Truppen besetzten Antwerpen schildert.

Ich gestehe, Paul van Ostaijen nicht gekannt zu haben – im Netz finden sich allerdings einige Informationen über ihn, die ihn nicht nur als einen dem Expressionismus, aber auch der dadaistischen Bewegung und dem Surrealismus nahe stehenden Dichter ausweisen, sondern vor allem auch als einen überzeugten flämischen Nationalisten und Aktivisten in der Flamingant-Bewegung, deren Ziel es war, das flämische Volk von der tatsächlichen oder empfundenen Dominanz der Wallonen zu befreien.
Den weiteren Informationen zu Folge ist das Gedicht Huis stad ik / Haus Stadt ich dem 1921 erschienenen Gedichtband Bezette Stad /Besetzte Stadt entnommen.

Huis stad ik

Huis stad ik

Vorgetragen wurde das Gedicht von Julia Trompeter und Xaver Römer, die neben ihrer literarischen Arbeit (so erschien z.B. von Julia Trompeter zuletzt der viel beachtete Roman Die Mittlerin) bereits seit 2009 zusammen an einem performativen Projekt namens „Sprechduette“ arbeiten.

Julia Trompeter und Xaver Römer und ihre "Sprechduette" © Wolfgang Schiffer

Julia Trompeter und Xaver Römer und ihre „Sprechduette“ © Wolfgang Schiffer

Den Begriff Performance hätte Thomas Kling, dessen Gedicht Die Schrift – Echtfoto aus dem im Band Fernhandel 1999 veröffentlichten Zyklus Der Erste Weltkrieg nun zum Ausgangspunkt ihres Sprechduetts machten, abgelehnt; er nannte das, was er vor Publikum auf der Bühne bot: Sprachinstallation.

So wie seinen Gedichten alles Material war, was seine Lust an Sprache entzündete – Jargon, Dialekt, Zeitungsnotiz, antiker Vers, aber auch Rhythmus, Stille, Klang und Laut usw. – und was er häufig mit Schnitt und Gegenschnitt, mit Beschleunigung und Verlangsamung in Beziehung brachte, zur Form der genauesten Wahrnehmung zwang, so war ihm das Ergebnis dann eine Partitur, die seine ganze Konzentration und den vollen Einsatz seiner Stimme verlangte: mal flüsternd, mal schreiend, doch immer deutlich, präzise, mal temporeich, mal langsam, laut, leise und immer eindrucksvoll.

Es gehört schon ein wenig Mut dazu, einer solchen Befähigung der Selbst-Interpretation eine andere akustische Fassung entgegen zu setzen – zumal bei einem Text, der mit den Signalworten CNN und Verdun eine derartige Kraft entwickelt, dass in der gedoppelten Metapher Vergangenheit und Gegenwart, mediales und wirkliches Kriegsgeschehen für alle Zeiten warnend und mahnend zusammen fallen. Doch Chapeau! Julia Trompeter und Xaver Römer liefern ein kleines akustisches Meisterwerk ab, das zweifellos anders daher kommt, als Thomas Klings eigene Sprachinstallation klingen würd, aber als eine mögliche, das Sprachmaterial durch eine behutsame Texteinrichtung noch einmal variierende Adaption absolut zu überzeugen weiß.

Am Ende meines heutigen „Rauchzeichens“ “ muss ich nun noch einen ganz deutlichen Hinweis geben und eine klare Empfehlung aussprechen.

Die Interpretinnen und Interpreten des Abends über Thomas Kling und die lyrischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs können Sie / könnt Ihr im Literaturhaus Köln ja nun nicht mehr hören – aber dem Dichter Thomas Kling selber zuzuhören, das ist seit wenigen Tagen in einem großen Umfang, doch ohne großen Aufwand möglich.

Thomas Kling – Die gebrannte Performance heißt das Hörbuch, das Ulrike Janssen und Norbert Wehr, u.a. Herausheber der bekannten Literaturzeitschrift Schreibheft, für den Lilienfeld Verlag als Band 5 der Schriftenreihe der Kunststiftung NRW Literatur zusammengestellt und im Begleitband mit zahlreichen Textbeiträgen von Freunden und Kollegen des Dichters komplettiert haben.

Das brennende ArchivBereits 2012 hatte Norbert Wehr in Zusammenarbeit mit Ute Langanky, der Lebensgefährtin von Thomas Kling, im Suhrkamp Verlag den für die Kling-Wahrnehmung wertvollen Band Das Brennende Archiv veröffentlicht – mit Briefen, Handschriften, Fotos und unveröffentlichten Gedichten aus dem Nachlass sowie zu Lebzeiten entlegen publizierter Gedichte, Essays und Gespräche.

Die gebrannte Performance_225x380Heute nun, und das ist nicht weniger zu rühmen, stellt er mit der Hörfunkautorin und –regisseurin Ulrike Janssen den Teil der Arbeit Klings vor, der den Dichter vielen zum Kultautor, zumindest zu einer der auffälligsten Erscheinungen in der Lyrikszene hat werden lassen: die eigenen Interpretationen seiner Werke. Auf drei CDs, beginnend mit einer Aufnahme vom 23. September 1984 bis zu einem Mitschnitt eines Auftritts zusammen mit dem Schlagzeuger Frank Köllges bei Poetry on the Road am 18.Mai 2001 in Bremen, enthält das Hörbuch – nach aufwändiger Recherche- und Auswahlarbeit in Radio- und Privatarchiven – die prägnantesten Aufnahmen von den Anfängen des Dichters bis zu seinen letzten Auftritten. Eine vierte CD enthält zwei aufschlussreiche Gespräche, die bisher nur als Texte zugänglich waren, dabei das Gespräch mit dem Lektor und Übersetzer Hans Jürgen Balmes vom Juli 2004 – nur wenige Monate bevor der Autor an Lungenkrebs stirbt.

Ein Hörbuch ist häufig eine wunderbare Sache – hier, als Die gebrannte Performance kommt es zu seinem eigentlichen Sinn: es beschenkt die Hörerin, den Hörer mit etwas, das sie und er nur auf diese Weise erhalten können!

Auch wenn der Lilienfeld Verlag mit seinem feinen literarischen Programm nun wirklich keine gängige Adresse für Hörbücher ist – nicht nur die vielen Hörbuch-Konsumenten sollten sich diesmal dennoch die Adresse merken, sondern auch alle, die es als Kritiker und Juroren mit Hörbuch-Bestenlisten und sonstigen Auszeichnungen zu tun haben.

Dieses Hörbuch hat jede Aufmerksamkeit verdient!

Ein Letztes: für mich war das Hören der ersten drei CDs auf eine anrührend-erinnernde Weise auch eine Wiederbegegnung mit vielen öffentlichen Darbietungen und Lesungen der damaligen Zeit – denn bei vielen der Veranstaltungen – z.B. „Lyrik in Nordrhein-Westfalen“, „Nordrhein-Westfälisches Autorentreffen“ oder „Bielefelder Colloquium Neue Poesie“,, -deren Mitschnitte hier zu hören sind, war ich der zuständige Radio-Redakteur und stets, wie es so heißt, vor Ort…

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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