Meine Reise durch die isländische Poesie
Ergänzen möchte ich auszugsweise nur, was ich schon 1992 – nach der ersten Veröffentlichung dieser Autorin – im Nachwort zu dem seinerzeit in der „edition die horen“ erschienenen Sammelband isländischer Lyrik Ich hörte die Farbe Blau geschrieben habe – weil dem aus meiner Sicht auch für ihr weiteres literarisches Schaffen eine gewisse Gültigkeit inne wohnt.
Vor allem Linda Vilhjálmsdóttirs Liebesgedichte zeugen von bedingungsloser Emotionalität, werden zu provozierenden poetischen Psychogrammen weiblicher und zwischenmenschlicher Befindlichkeit. Auffälliges Stilmerkmal ist dabei die ungewohnte Verwendung von Farbwörtern, die, häufig als Gegensatzpaare gesetzt, seelische Zustände in ebenso treffsicheren Bildern aufreißen, wie sie der Beschreibung von Landschaft eine Metaebene geben, die über pure Naturlyrik hinausweist. Linda Vilhjálmsdóttir literarische Perspektive ist die einer (jungen) Frau im modernen, städtischen Island heute, doch halten ihre Gedichte stets auch Zwiesprache mit Formen und Topoi der Tradition.
Entnommen ist das folgende Gedicht dem erwähnten Band. Die Nachdichtung ist – auf der Basis einer Interlinearversion des Textes durch Franz Gíslason – von dem deutschen Lyriker Johann P. Tammen.
Nacht. Eins.
Für dich
will ich die Unbefleckte sein
gleich Islands Sommernacht
oder der Sternhimmelschmuck
in einer Kirche landab.Bauchfell
Prinzessin
und hell wie die Tönung
licht zwischen WolkenOpfer
Verführung
für dichden König im Glassaal
gehe ich wieder und wieder.Nótt. Eitt.
Fyrir þig
skal ég sýnast óflekkuð
eins og íslensk sumarnótt
eða stjörnum prýtt loft
í kirkju í sveitlífhimna
prinsessa
skær eins og litur
sem dugir í ljósið í skýjunumfórnarlamb
freisting
fyrir þigkónginn í glersalnum
geng ég after.Nacht. Zwei.
Für dich
dunkel wie die Nacht landfern
oder die sündenschmucke Lüge
über ungeweihter Erdeschwarz wie der Sprengel
ein leidiger Ort
der Pfarrfraumit Ruß im Gesicht
bleck ich die Zähne
wies Volkshelden tun und Henkerfür dich
Zauberkünder
Zauberkünder.Nótt. Tvö.
Fyrir þig
dimm eins og nóttin í sveitinni
eða syndum skrýdd lygin
um óvígða moldsvört eins og hreppur
sem prestsfrúin
vill ekki sjákrímug í framan
og glotti við tönn
að sið þjóðhetja og bödlafyrir þig
kraftaskáld
kraftaskáld.Nacht. Drei.
Für dich
wie in Blutnacht blind
oder rot und blau gezeichnet
nach ältestem Gesetzfür dich
das Fallbeil
das Feuerschattenlos gleite ich
aus der Haut
aus den Sekretengebe ich ein wenig vom Weiß
zur Braut
für dichwenn der Mond züngelt wenn
er aufgegangen.Nótt. Þrjú.
Fyrir þig
bráð eins og blóðnótt
eða rauð og blá lýsing
ur grágásfyrir þig
fallöxin
eldurinnskuggalaus smýg ég
úr hamnun
úr vessunumbæti örlitlu af hvítu
í brúðina
fyrir þigþegar tungl fer að sjást
eftir kveikingu.
Die zitierte Sammlung mit isländischer Lyrik ist natürlich längst vergriffen und allenfalls noch über einschlägige Online-Dienste zu erhalten. Das Cover ist jedoch in jedem Fall noch sichtbar zu machen!
…es macht mich traurig zu sehen, wie viel schönes längst vergriffen ist, und wie viel „Lesemist“ sich stattdessen in den Buchläden heutzutage tummelt…
Ich „tröste“ mich immer damit, dass unter dem vielen Neuen doch auch manch Gutes ist – gerade die Lyrik betreffend… Gute Grüße, Wolfgang
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