Das Große und das Kleine. Eine erste Rezension zu „næturverk / nachtarbeit“ von Sjón. Die Übersetzer-Komplizen Gíslason/Schiffer danken herzlichst …

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Happy releaseday!

„nachtarbeit“ von Sjón erschienen

Foto © Wolfgang Schiffer / Montage © Arnd Schäfer

Zum Gedichtband næturverk / nachtarbeit des isländischen Schriftstellers Sjón, den der ELIF Verlag soeben in einer isländisch-deutschen Edition, übersetzt von Jón Thor Gíslason und mir, veröffentlicht hat, schreibt der Verleger Dinçer Güçyeter in einem Facebook-Post Folgendes:

„Çakaaaaa …. Als mein Freund Wolfgang Schiffer mich wegen der Island-Reihe im ELIF ansprach, gab es unter den Leseproben auch die Texte von Sjón. Für mich war er mehr als der Mann bekannt, der für Björk Liedtexte schreibt. Und ich als großer Björk-Fan war sofort begeistert und wollte mit ihm die Reihe starten. Doch die Rechte für den deutschen Buchmarkt hatte ein großer Verlag und wir haben das Projekt aufs Eis gelegt.

Heute denke ich, wie gut, dass es nicht geklappt hat, und wie gut, dass wir mit “Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können“ von Ragnar Helgi Ólafsson angefangen haben. Loslassen wollten wir aber nicht, Wolfgang traf letztes Jahr auf seiner Islandreise Sjón und hat gefragt, wie es gerade ist. Und innerhalb von zwei Tagen hat ELIF die Rechte bekommen.

Nun liegt “næturverk / nachtarbeit“ gedruckt in meiner Hand. Meine Freude ist unbeschreiblich. Der Band sollte erst im Mai ausgeliefert werden, da ich aber wieder charmant- chaotisch mit unserer Verlagsauslieferung kommuniziert habe, ist es ab heute lieferbar, überall wo es Bücher gibt und natürlich auf unserer Webseite: www.elifverlag.de

die sternbilder von gestern haben die plätze gewechselt
ein berg in der ferne ist näher gerückt
die straßen sind zu wasser geworden
keine karte weist uns den weg zurück
durch sich ständig veränderndes land

“næturverk / nachtarbeit“ ist eine vielschichtige, tiefgründige Gedichtsammlung. In der für den Dichter charakteristischen Bildsprache fließen hier Momentaufnahmen des Alltags, poetische Verweise auf andere Schriftsteller und Mythen aus aller Welt in etwas Größeres, Universelles ineinander: z.B. den Ursprung und das Wesen des Menschen und die grundlegende Existenz der Sprache. In ungebundenen Gedichten wie auch in tagebuchartigen Prosaskizzen und traumähnlichen Sequenzen führt der Autor zusammen, was vermeintlich nicht zusammengehört. Das Überwinden von Grenzen beim Betrachten der Welt und ihrer Geheimnisse, dies ist das zentrale Ziel des Bandes, entsprechend dem ihm vorangestellten Zitat von Leonora Carrington: “Die Aufgabe des rechten Auges ist es, in das Teleskop zu schauen, während das linke in das Mikroskop schaut.“

Mehr Informationen, u.a. zum Autor, gibt es hier auf der Shop-Seite des Verlags.

 

Ein glücklicher Übersetzer
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Alaskablues

Gedichte von Þórarinn Eldjárn

Island – am Jökulsárlón
Foto © Wolfgang Schiffer

Erstmals in deutscher Übertragung sind vor wenigen Tagen in der Online-Literaturzeitschrift Signaturen-Magazin drei Gedichte des isländischen Schriftstellers Þórarinn Eldjárn erschienen; für ihre Veröffentlichung danken der Autor und das Übersetzer-Duo Gíslason Schiffer sehr herzlich.

Eines dieser drei Gedichte will ich heute auch hier in meinen Wortspielen zitieren; wer interessiert ist, auch die weiteren zu lesen, klicke dazu bitte auf diesen Link, der direkt zum entsprechenden Beitrag in der Magazin-Reihe Wortlaut Island führt.

Im Original erschienen sind alle drei Gedichte in dem von den Schriftstellern Dagur Hjartarson und Ragnar Helgi Ólafsson isländischen Tunglið forlag 2023 herausgegebenem Ljóðbréf Nr. 7 / Poesiebrief Nr. 7.

ALASKABLUES

Alaska an der Hringbraut*
war eine Gärtnerei,
aber der Name kam vielen seltsam vor.
Warum denn nicht Gärtnerei Jan Mayen
Spitzbergen oder Novaja Semlja?

Jón Ólafsson, ein Poet und Redakteur,
Bruder von Páll Ólafsson**,
wollte zu seiner Zeit alle Isländer
nach Alaska umsiedeln .

Sein Wunsch ging nicht
in Erfüllung,
aber viele Jahre später
brachte sein Enkelsohn,
der Forstwirt Hákon Bjarnason,
Alaska nach Island,
durchaus in guter Absicht,
obwohl heute viele der Meinung sind,
dass alles, was mit Alaska in Verbindung steht,
dem Land nur einen Bärendienst erweise:

Die Alaskalupine
trennt das Volk in zwei Teile,
sie hat die Nachfolge der Armee angetreten.***

Was dies betrifft, habe ich
ewige Neutralität erklärt,
aber ich muss gestehen,
28 Alaskapappeln gefällt und außerdem
mit einer Kettensäge ein gewaltiges Exemplar
einer Alaskaweide gemordet zu haben.

Bin seither total aggressiv,
total unmöglich, und mein Verhalten
ist wahrscheinlich total ungesetzlich.


* Straße in Islands Hauptstadt Reykajavík

** Páll Ólafsson (1827 – 1905) war ein beliebter Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.

*** Gemeint ist das frühere amerikanische Militär, das von 1951 bis 2006 auf Island stationiert und nicht von allen akzeptiert war.. Island selbst ist ohne Militär.

Þórarinn Eldjárn, geboren 1949 in Reykjavík, studierte Isländisch, Literatur und Philosophie in Schweden und an der Universität Islands. Seit 1975 arbeitet er als Schriftsteller und Übersetzer und gehört, vor allem durch sein Bestreben, die Shortstory im Isländischen weiterzuentwickeln, zu den bekanntesten Autoren des Landes. Sein Werk jedoch ist weit gespannt, es umfasst ebenso Romane, Aphorismen, Kinderbücher und nicht zuletzt Gedichte. Sein bekanntestes Werk, Brotahöfuð, erschien in deutscher Übersetzung unter dem Titel Im Blauturm. Außerdem erschien in Deutschland unter dem Titel Die glücklichste Nation unter der Sonne eine Sammlung von Erzählungen des Autors. Seine Gedichte sind trotz ihres großen Erfolgs in Island hierzulande bis dato unübersetzt.

In Island erschienen zuletzt die Bände Til í að verða til / Bereit zu werden (2019) sowie Allt og sumt / Alles und nichts (2022). Þórarinn Eldjárn lebt und arbeitet in Reykjavík.

 

Þórarinn Eldjárn liest.
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monolog mit mond

Gedichte von Sigurður Örn Guðbjörnsson

Island, Küste

monolog mit mond, so heißt der dritte Gedichtband des isländischen Schriftstellers Sigurður Örn Guðbjörnsson, aus dem man nun dank der Online-Literaturzeitschrift Signaturen-Magazin zumindest eine kleine Auswahl  auch in deutscher Übertragung lesen kann. Diese haben einmal mehr wir, die Übersetzer-Komplizen Gísalon/Schiffer, vorgenommen, natürlich mit Zustimmung des Autors.  Erschienen ist der Band im Original 2022 im Verlag kolgrímur, zuvor gab es bereits die Bände fundin ljóð í ferðabók sveins pássonar læknis / gefundene gedichte im reisebuch des arztes svein pálsson (zusammen mit dem bildenden Künstler Harald), 2019, sowie fingraför arkíf / Fingerabdruckarchiv, 2021. Sigurður Örn Guðbjörnsson wurde 1966 in Reykjavík geboren, er lebt auch heute in Islands Hauptstadt.

Einen Teil unserer Auswahl der sehr kurzen, überaus konzentrierter Texte des Autors will ich heute auch hier vorstellen, weitere, sowie viele Gedichte anderer isländischer Lyrikerinnen und Lyriker, finden sich in der Reihe Wortlaut Island, in der das Signaturen-Magazin im Rhythmus von ca. vierzehn Tagen stets Neues vorstellt.

MOND 
der mond bewegt sich
damit er uns besser sehen kann

GLETSCHER
das fenster zeigt nicht mehr
nach norden immerhin ist ein gletscher zu sehen
im nirgendwo

STEINE
wir wissen dass die steine
sprechen aber träumen sie

BERG
der berg zuckt mit den schultern
als wäre ich ihm
egal

NAMENLOSER FLUSS
es ging darum einem namenlosen fluss
zu überqueren es ging
alles mit sorgfalt zu

RUND UM EINEN SEE
wenn sie zusammen rund um
den see gehen gehen sie
dennoch nicht rund um
dasselbe wasser

WIND
von hier aus wo ich schaue
ist es als stünde
der wind still

ÜBER DIE HEIDE
es gelingt ihm nicht den schatten
zu überzeugen geht allein los
über die heide
Sigurður Örn Guðbjörnsson
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Das dunkle Versteck

Ein neuer Kriminalroman von Arnaldur Indriðason

Damals in Island …

Ein Mann liest in der Zeitung die Nachrufe von Verstorbenen und erliegt dabei selbst einem Herzinfarkt. In seinen Hinterlassenschaften findet seine Witwe Halla eine alte Pistole, eine Luger, deren Herkunft sie sich nicht zu erklären weiß; aufgewühlt bringt sie die Waffe zur Polizei. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung findet heraus, dass es sich um eine Mordwaffe handelt, eine Mordwaffe in einem seit Jahrzehnten ungeklärten Fall. Damals wurde mit ihr in Múlahverfi, einem ehemaligen Kasernengelände aus dem 2. Weltkrieg, in dessen baufällige Baracken nun sozial niedrig gestellte Menschen Reykjavíks eingezogen sind, ein junger Mann namens Garðar erschossen. Als der längst pensionierte Kommissar Konráð von dem Fund und dessen Umständen erfährt, ist er wie elektrisiert: Er erinnert sich, dass auch sein Vater Seppi ihm seinerzeit einmal eine solche Pistole gezeigt hat. Ist es womöglich seine Waffe? Hat er vielleicht etwas mit dem Tod des Mannes zu tun?

Wer auch nur einen der vorherigen vier Kriminalromane aus der Reihe um den Kommissar Konráð gelesen hat, weiß, welche Traumata den ehemaligen Polizisten quälen: Seine harte Kindheit und Jugend, der gewalttätige, kriminelle Vater, der seine Frau schlug und sogar seine eigene Tochter, Konráðs Schwester Beta, vergewaltigte, das Getrenntsein von seiner Mutter, die ihren Mann schließlich zusammen mit ihrer Tochter verließ, und vor allem der Tod des Vaters, 1963 ermordet in einer düsteren Nacht vor den Schlachthöfen im Schattenviertel.

All dies, von dem Konráð immer wieder gehofft hat, es in die Tiefen der Vergangenheit verbannen zu können, steht nun wieder vor ihm. Und vor allem die ungeklärte, doch von unklaren Schuldgefühlen und verstörenden Zweifeln geprägte Frage, wer seinen Vater ermordet hat.

Obwohl Marta, seine Nachfolgerin im Kommissariat, ihn ausdrücklich ermahnt, sich nicht in den Fall einzumischen, nimmt Konráð privat Ermittlungen auf. Die Spuren, auf die er hierbei stößt, führen ihn zurück zu Fällen und Personen aus der jüngsten Vergangenheit, vor allem zu dem Arzt Gústaf, den er wegen Kindesmissbrauch ins Gefängnis gebracht hat. Zu ihm und dessen Vater Anton Heilmann hatte auch Konráðs Vater seinerzeit Kontakt.

Je tiefer Konráð in seinen Ermittlungen voranschreitet und die dunklen Flecken in der Vergangenheit aufzuhellen sucht, desto mehr entgleiten ihm die sozialen Kontakte heute, so zum Beispiel zu seinem Sohn Húgo und zu seiner Freundin Svandhildur, die ihm nach dem Tod seiner Frau Erna zur Seite gestanden hat; auch zeigt sich, dass auch er nicht immer der allzu gesetzestreue Polizist war und auch heute noch sogar zur Anwendung von Gewalt bereit ist, wenn seine Vorstellung von Gerechtigkeit nicht anders umzusetzen ist. Doch bringt er mit seinen Ermittlungen zunehmend Klarheit in den Fall, vor allem aber bringt er auch seine Schwester Beta in höchste Gefahr – und am Ende sich selbst …

 

 

Das Spiel mit verschiedenen Zeitebenen macht es vielleicht nicht immer ganz leicht, dem komplexen Geschehen in diesem neuen Fall, dem fünften der Kommissar-Konráð-Reihe zu folgen. Auch könnte es das Lesevergnügen steigern, wenigstens einige (besser noch: alle) der vorherigen Romane um den pensionierten Polizisten gelesen zu haben, denn das neue Werk bezieht sich nicht selten auf die dort angestandenen Kriminalfälle und den darin agierenden Personen; wer aber grundsätzlich die ruhig schürfende Erzählweise mag, in der der international gefeierte Krimiautor Arnaldur Indriðason seine Geschichten vorabtreibt, der wird auch hier wieder bestens bedient. Und entführt in ein Island in den düsteren 60er Jahren, in denen die isländische Gesellschaft in Fragen von Moral und Sexualität, besonders in Bezug auf Homosexualität, das extreme Gegenteil dessen gewesen zu sein scheint, für das sie heute steht.

Trefflich übersetzt wurde das Lesevergnügen von Freyja Melsted, erschienen ist es, wie alle bisherigen Kriminalromane von  Arnaldur Indriðason, im Lübbe Verlag in Köln.

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