Von Glaubwürdigkeit und der schlimmstmöglichen Wendung

Zu „Die Verabschiebung“ von Joachim Zelter

Ein Asylantenheim

Man wünschte sich, es wäre „nur“ ein Roman. Doch auch wenn diese Genrebezeichnung auf dem Cover des Buches steht und Joachim Zelter, sein Autor, in einer klugen Vorbemerkung darauf hinweist, dass die Geschichte eine Fiktion sei, so will man es, je weiter man liest, bald nicht mehr glauben. Die Wahrheit bricht in einem Maße in die Schilderung des Schicksals eines Asylbewerbers ein, dass man über weite Strecken meint, einem Tatsachenbericht zu folgen.

Dabei macht ein Zitat von Immanuel Kant, das dem Buch vorangestellt ist, schon zu Beginn klar, wie man Faizan Muhammad Amir, der aus Pakistan nach Deutschland aufgebrochen ist, hier in einer Flüchtlingsunterkunft wohnt und sich bei den zuständigen Behörden um eine Aufenthaltsgenehmigung bemüht, begegnen müsste. Der Eindrücklichkeit halber sei hier, was der Philosoph, auf den die Deutschen so stolz sind, bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Altersschrift Zum ewigen Frieden schrieb, in Gänze zitiert:

Es ist hier … nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und das bedeutet … das Recht eines Fremdlings, … nicht feindselig behandelt zu werden. Es ist … ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich dort nebeneinander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere.

Dass Faizan Muhammad Amir dieses Recht nicht ohne Weiteres gewährt wird, dürfte kaum verwundern in einem Land, in dem es der Innenminister einst als Geschenk zu seinem 69ten Geburtstag erachtete, dass 69 Asylbewerber abgeschoben wurden. Die Abschiebung droht auch im vorliegenden Fall, so sieht es ein angeblich kenntnisreicher Anwalt, den die Bibliothekarin Julia, die sich in Faizan verliebt hat und mit ihm zusammenleben will, engagiert, da Pakistan kaum ein Land darstelle, das einen Asylgrund wie Bürgerkrieg, Folter und Tod abgebe. Um der Gefahr der Abschiebung wirksam zu entgehen, rät er zu einer Eheschließung.

Julia, im Prinzip eine Gegnerin der Ehe, geht diese aus Liebe zu Faizan ein; doch wer glaubt, dass damit diesem nun ein Bleiberecht gegeben sei, sieht sich getäuscht. Während sich der sich weiterhin um Asyl ersuchende Ehemann einer Anhörung nach der anderen, die allesamt den Charakter eines verschärften Verhörs haben, unterziehen muss, erhält die Ehefrau Besuch von der Ausländerbehörde; ein Beamter mit dem sprechenden Namen „Zöllner“ verschafft sich unter Vorspiegelung, er sei ein Mitarbeiter der Telekom, Zugang zu ihrer Wohnung.

Was nun folgt, ist nichts anderes als eine Prüfung, ob es sich nicht um eine Scheinehe handele, um die bewusste Vortäuschung einer pseudoehelichen Lebensgemeinschaft zur Erlangung eines Aufenthaltstitels. Dass dies von Beginn an eher als gegeben unterstellt wird, denn geprüft, lässt auch hier auf keinen guten Ausgang hoffen.

Trotz aller Demütigung und Zermürbung durch einen undurchsichtigen Paragraphendschungel und die bürokratischen Attacken, die ein angstfreies eheliches Zusammenleben des Paars nicht zulassen, lehnen Julia und Faizan ein angebliches Schlichtungsangebot der Ausländerbehörde ab: Faizan möge freiwillig in sein Heimatland zurückkehren und sich von dort aus bei der Deutschen Botschaft um eine erneute Einreise auf der Basis der Familienzusammenführung bemühen. Auch der x-te Anwaltsexperte, den Julia für teures Geld bestellt hat, rät dazu, sich nicht darauf einzulassen; ein solcher Vorschlag sei von Seiten der Behörden zudem zuhöchst unrechtens.

Natürlich sagt er dies auch, als wenig später nächstens ein Polizeiaufgebot die Wohnung stürmt, Faisal in Gewahrsam nimmt und zu einer abflugbereiten Maschine bringt, die ihn, begleitet von zwei Beamten, dorthin zurückfliegt, von wo er gekommen ist: nach Pakistan. Zurück bleibt eine völlig verstörte Ehefrau, die nicht verstehen kann und will, woher sich welcher Staat, welche Behörde, welche politische Macht auch immer das Recht nimmt, Ehepartner voneinander zu trennen …

Erzählt wird dies alles als eine Erinnerung von Julias Bruder Johannes, der sich nun ebenfalls an Bord einer Maschine nach Pakistan befindet, auf der Suche nach Faizan – und seiner Schwester. Sie nämlich ist, weil sie die Trennung nicht länger ertragen konnte, ihrem Mann schließlich nachgereist; anfangs hielt sie danach noch regelmäßig Kontakt zur Familie in Deutschland, doch plötzlich ist der Kontakt gänzlich abgebrochen …

Und in immer neuen Varianten, so sagt Joachim Zelter, dachte er an Dürrenmatts Satz, dass eine Geschichte dann ihre höchste Glaubwürdigkeit gewinne, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung nehme.

Man wünschte sich, Die Verabschiebung wäre „nur“ ein Roman.

Erschienen ist Die Verabschiebung im Frühjahr im Verlag Kröner Edition Klöpfer, Hardcover mit Lesebändchen, 160 S, 18,00 €.

Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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2 Antworten zu Von Glaubwürdigkeit und der schlimmstmöglichen Wendung

  1. Pingback: Von Glaubwürdigkeit und der schlimmstmöglichen Wendung — Wortspiele: Ein literarischer Blog | Birgit Böllinger

  2. arnoldnuremberg schreibt:

    Vielen Dank für die Buchbesprechung, das Zitat von Kant, und die mit beiden verbundenen Fragen.

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