In den Nächten hört er Schüsse …

… wenn es Schüsse sind.

Hütte am Berg © Wolfgang Schiffer

Hütte am Berg © Wolfgang Schiffer

So beginnt Jochen Rauschs Roman Krieg und er setzt fort:

Manchmal hört er auch Schreie. Aber wenn Arnold die Tür aufzieht, nicht weiter als einen Spalt nur, dann sind da nichts als die Dunkelheit und das Rauschen des Waldes, das harmlose Gluckern des Bachs und ein gelegentliches Knacken im Geäst. Hin und wieder schwingt sich ein Vogel auf und schlägt mit den Flügeln. Seit Arnold auf dem Berg ist, verging nicht eine Nacht ohne Schüsse und Schreie.

Krieg RomanBis auf seinen Hund hat Arnold Steins, ein ehemaliger Lehrer um die Fünfzig, alles verloren – seinen Sohn Chris, der freiwillig nach Afghanistan ging und dort gefallen ist, seine Frau Karen, die ums Leben kam, als sie eben jenen Hund, der ihm nun der einzige Begleiter ist, vor dem Einbruch ins Eis retten wollte – doch vermutlich war es umgekehrt…

Jetzt hat er sich aus der Öffentlichkeit in eine abgelegene Waldhütte zurückgezogen und sucht, zu vergessen. Doch die Abgeschiedenheit bewirkt das genaue Gegenteil: die Erinnerungen werden schmerzhaft präsent – die Versuche, den Sohn zum Bleiben zu bewegen, das Abgleiten seiner Frau in den Alkoholismus, seit er aufgebrochen ist, die nächtlichen Emails des Sohnes aus dem Kriegsgebiet, die steten Selbstbeschwörungen, dass er doch heil zurückkommen werde, das Überbringen der Todesnachricht, den Tod der Frau…

Jochen Rausch erzählt dies – die Verzweiflung, die Trauer, die psychische Zersetzung feinporig beobachtend – auf einer Vergangenheitsebene, die zunehmend mit der Gegenwart zusammenfällt. Denn auch hier, in Arnold Steins´ Einsamkeit, herrscht Krieg: jemand bricht in seine Hütte ein, zerstört sein Radiogerät, seine beinah einzige Verbindung zur Außenwelt, sein Hund wird mit einem Bolzengewehr angeschossen – da verfolgt ihn jemand, den es zu stoppen gilt! Und Arnold Steins nimmt den Kampf gegen den Unbekannten auf. Oder ist es ein Kampf gegen sich selbst und seine Erinnerungen?

Nüchtern, mit geradezu klinischer Präzision treibt der Autor auch dieses Geschehen voran und verwebt es zugleich zunehmend mit der Vergangenheit und den Schicksalen im fernen Kriegsgebiet. Und dem Leser wird hierbei eindringlich bewusst, dass ein Krieg nicht nur an dem Ort, an dem er geographisch stattfindet, seine Opfer fordert …

Krieg ist nach Restlicht (2008) und Trieb / 13 Storys (2011) die dritte Publikation des Autors, Journalisten und Musikers Jochen Rausch (der zudem seit Jahren auch höchst erfolgreich als Programmchef der WDR-Radiowelle 1Live arbeitet) – erschienen ist der Roman bereits im Herbst vergangenen Jahres im Berlin Verlag.

Ich habe ihn hier gerne noch kurz nachgetragen, bevor er Gefahr läuft, von den neuen Büchern des Frühjahrs verdeckt zu werden – auch wenn dieses „Verdecken“ ein nur rein äußerliches wäre – denn der Roman wirkt in jedem, der ihn gelesen hat, noch lange nach!

Krieg HörbuchZu hören ist er im Übrigen auch – Ulrich Noethen hat ihn für den Hörbuch-Verlag Random House Audio schnörkellos-überzeugend auf fünf CDs eingelesen.

Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Hörbuch, Literatur, Prosa, Verlage, Wortspiele abgelegt und mit , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Antworten zu In den Nächten hört er Schüsse …

  1. Petra Wiemann schreibt:

    Kein leichter Stoff, aber einer so eindringlichen Empfehlung möchte ich gern folgen.
    Liebe Grüße,
    Petra

    • schifferw schreibt:

      Freut mich! Und trotz des Stoffes: ich wünsche ein heiteres 2014! Gute Grüße, Wolfgang

  2. wortstarkmh schreibt:

    Das klingt nach einem wirklich lesenswerten, eindringlichen Buch, das ich mir vorgemerkt habe. Danke für die Empfehlung!

  3. schifferw schreibt:

    Dank zurück! Und ein gutes 2014 obendrein! Gute Grüße, Wolfgang Schiffer

Kommentare sind geschlossen.