Desinfektion zu Vogelfangzeiten

Sigurbjörg Þrastardóttir und ihre teils messerscharfe Lyrik

Happy Hour in Reykjavík – Foto © Wolfgang Schiffer

Heute will ich drei Texte einer weiteren Autorin vorstellen, die mit mehreren Gedichten in dem Island-Kapitel das licht ein platzfreches kind des aktuellen Bandes 280 der Literaturzeitschrift die horen vorgestellt wird: Sigurbjörg Þrastardóttir.

Auch wenn 2011 im Verlag Blumenbar mit Fackelzüge ein von Kristof Magnusson übersetzter Gedichtband von ihr erschien und sie mehr als einmal zu Lesungen und Veranstaltungen hierzulande eingeladen war, so gilt sie trotz ihres auch quantitativ ansehnlichen Werks leider doch zu den unbekannteren Schriftstellerinnen und Schriftstellern von der Insel im Nordatlantik. Liest man ihre oft gestochen klaren poetischen Bilder, so wünscht man sich, dies möge sich ändern!

 

Desinfektion zu Vogelfangzeiten

Die Waschkrähe

ist ein bestimmter Knirschlaut in Wolle

oder anderen Stoffen

wenn der Dreck rausgewaschen ist

davon

bekommt man leicht

eine Gänsehaut

anschließend

tröpfelt es gerne aus einem fettigen Augenlid

ein unerklärliches Phänomen das man

ohne Zögern

Blutgerinnung

nennen darf

Sie ist Knochen

Ihr keineswegs

schreiben, dann fliegt

alles auf, es dabei belassen,

den glatten

schlanken Arm zu berühren, am liebsten

unbeobachtet, und

auf dem Heimweg die Tränen trinken

wie technisches

Wasser

aus einem glänzenden Hahn

Blauveilchen und Lichterhang

 

Nun schneiden durchs Fleisch

die Messer

die meinen bläulichen Körper

hoch halten über der grellen

Stadt

nirgendwo Blut

ich spüre den Atem

der Mütter die sich im Licht des Bads

in fünf Sekunden schminken und

krankhaft schwere Taschen tragen doch

hier ist kein Gepäck erlaubt (die Haut geht auf)

hier über

der trauervollen Stadt

die glänzt

von Gummi und Schweiß

 

Sigurbjörg Þrastardóttir (oben rechts) und die Journalistin und Kritikerin Jórunn Sigurðardóttir bei der Feier des Sommerbeginns 2019 – Foto © Wolfgang Schiffer

Sigurbjörg Þrastardóttir, geb. 1973 in Akranes, lebt als Rundfunk-Kolumnistin und Schriftstellerin in Reykjavík. Seit ihrem ersten Lyrikband im Jahr 1999 veröffentlichte sie neben Theaterstücken, Erzählungen und zwei Romanen acht weitere Gedichtbände, für die sie mehrere literarische Auszeichnungen und Preise erhielt. In deutscher Übertragung erschien 2011 ihr Gedichtband Fackelzüge. Letzte Buchpublikationen (in isländischer Sprache) u. a.: Kátt skinn (og gloria), Gedichte, Reykjavík 2014, Hrygg dýr, Gedichte, Reykjavík 2018 sowie ganz aktuell Mæður geimfara, Reykjavík 2020.

Die hier in der Zeitschrift die horen in Übersetzung veröffentlichten Gedichte sind dem Band Hrygg dýr entnommen.

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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