Das Land von Feuer und Nichts

Steinunn Sigurðardóttirs mahnendes Islandbild …

Ein Blick von Ferne auf den Snæfellsjökull  – Foto: Wolfgang Schiffer

Mit Steinunn Sigurðardóttir stelle ich heute nun eine weitere Autorin mit einer kleinen Auswahl von Gedichten aus ihrem 2019 im Verlag Mál og Menning erschienenen Gedichtband dimmumót (ein aus den Wörter dimma / Dunkel, Dunkelheit und mót / Begegnung, Treffen zusammengesetzter Titel) vor, die im Island-Kapitel das licht ein platzfreches kind des soeben erschienenen Bandes 280 der Literaturzeitschrift die horen veröffentlicht sind.

Auch wenn die Schriftstellerin ihr literarisches Schaffen als Dichterin begonnen hat, von ihr mit Stjörnuryk á fingurgómum / Sternenstaub auf den Fingerkuppen auch im Buchkunstverlag Kleinheinrich 2011 ein von Gert Kreutzer übersetzter Gedichtband erschienen ist, so ist sie den Leserinnen und Lesern hierzulande zweifellos als Autorin von Romanen und Prosa mehr bekannt, so zum Beispiel durch ihre Romane Gletschertheater (2003), Der gute Liebhaber (2011) oder den auch von mir hier besprochenen Roman Jojo (2014) und zuletzt, 2018, durch Heiðas Traum, der Schilderung des Lebens einer Schäferin in Selbstzeugnissen und ihres Kampfes für die Natur in Island.

Umso mehr freue ich mich, heute mit sieben Gedichten in besagtem Island-Kapitel in der Literaturzeitschift die horen zumindest einen Hinweis  auf das anhaltende lyrische Schaffen der Autorin geben zu können. Ein Schaffen, das auch in diesen Texten nicht weniger als in Heiðas Traum ebenfalls dem Erhalt der einzigarten Natur Islands gewidmet ist, der Trauer über ihre Zerstörung.

Zwei der Gedichte aus dem Kapitel das licht ein platzfreches kind, die dies belegen mögen, will ich hier nun zitieren.

 

DER SCHATTEN DES SCHNEELICHTBERGS

 

Er war über lange Zeit vom Hof aus sichtbar, dieser unabkömmliche Eingeborene.

Jetzt ist er von Svínafell* aus nicht mehr zu sehen.

Er, der einmal aus aller Augen verschwunden sein wird.

Er, der ins Meer fließt

ganz und gar, vertikal wie horizontal.

Dies könnte noch zu Lebzeiten unserer Kinder geschehen.

Dann wird es ein kopfloses Heer von Bergen und Gipfeln in Nicht-Island geben.

Dann werden Kinder und Enkelkinder in einem Land ohne den 

S c h n e e l i c h t b e r g  sein.

Dort wird dessen  S c h a t t e n  herrschen

 

* Hochebene und Berg im Südosten Islands, westlich des Gletschers Öræfajökull gelegen

 

DAS LAND VON FEUER UND NICHTS

 

Mit heißen Augen schaue ich mir den Allerliebsten meiner Kindheit an.

Durch die trockenen Tränen und Tränen betrachte ich das wellige Flachland

das einmal das schönste Bild meiner Kindheit war.

Ein Himmelskörper unter dem Himmel. Mit den Wurzeln in der Erde von Skaftafell**.

Wenn das Bild verschwindet, wird es toten Schnee regnen.

Denn es stirbt nicht nur der Gletscher, sondern auch der lebendige Schnee

Vater des Gletschers und sein Nachkomme.

Das Ergebnis wird abgestorbener Schnee auf einem Allerweltshaufen sein

nicht im Land aus Feuer und Eis

sondern im Land aus Feuer und Nichts.

 

** Region im Südosten Islands, benannt nach einem erloschenen Vulkan. Nationalpark.

 

Steinunn Sigurðardóttir, geb. 1950 in Reykjavík, studierte Psychologie und Philosophie am University College Dublin und lebt nach einer Zeit als Journalistin nun als freischaffende Schriftstellerin in Frankreich und Selfoss im Süden Islands. Ihrem ersten Gedichtband Sífellur, den sie mit 19 Jahren veröffentlichte, folgten bis heute zahlreiche weitere sowie Romane, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde – nicht zuletzt mit dem Isländischen Literaturpreis – und die in andere Sprachen übersetzt wurden, so auch ins Deutsche. Letzte Buchpublikationen (in isländischer Sprache) u. a.: Að ljóði munt þú verða, Gedichte, Reykjavík 2018, Dimmumót, Gedichte, Reykjavík 2019. Letzterem sind die hier veröffentlichten Texte entnommen.

 

Steinunn Sigurðardóttir bei ihrer Eröffnungsrede zum Internationalen Literaturfestival Reykjavík 2019 – Foto: Wolfgang Schiffer
 

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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