Märchen aus Island
Eigentlich bin ich dem Alter, in dem man noch Märchen liest, natürlich längst entwachsen. Die Kinder sind es ebenfalls, die Enkel sogar, so dass auch ein Vorlesen nicht mehr ansteht. Wenn aber Alexander Schwarz, ein Kenner Islands, der mehrere Jahre dort gewohnt hat, Reisebücher und sonstiges darüber schreibt und immer noch regelmäßig als Literaturscout auf der Insel unterwegs ist, wenn dieser der Insel Verfallene aus den vielen zunächst mündlich überlieferten und später verschrifteten Volksmärchen und -erzählungen eine für deren Tradition und Themenvielfalt repräsentative Auswahl zusammenstellt, so ist ein Blick ins Buch unumgänglich.
Märchen aus Island, heißt es, Zum Erzählen und Vorlesen im Untertitel, und es greift damit bereits den Stellenwert der Kinder- und Hausmärchen auf, deren Geschichte und Überlieferung der Herausgeber sodann in einem kenntnisreichen Vorwort darlegt.
Es folgen vierundvierzig Beispiele, gegliedert in vier Abschnitten, von denen zwei in ihrer Überschrift bereits das benennen, woran ein nicht geringer Teil der isländischen Bevölkerung auch heute noch glaubt: Elfen und Trolle. So heißt das erste Kapitel denn auch: Von Elfen und Menschen, das dritte: Von Trollen und Zwergen. Abschnitt zwei erzählt von Menschen und Tieren, Abschnitt vier ist den Bösen, Unholdinnen und Weisen gewidmet. Den Abschluss des Buches bildet ein Verzeichnis, aus dem ersichtlich wird, welchen früheren Veröffentlichungen die Beispiele, freilich heutiger Rechtschreibung behutsam angepasst, entnommen sind – aus den Jahren 1884 über 1891, 1902, 1923 bis hin zu einer Übersetzung des Herausgebers selbst auf dem Jahr 2011.
Auf die einzelnen Beispiele der Sammlung explizit einzugehen, ist hier nicht der Platz; auch soll das Vergnügen, etwas über Frauen im Wettstreit, wessen Ehemann der Dümmste sei, über pfiffige Bauernburschen, die selbst das Wort Bauernschläue nur unzureichend charakterisiert, gutmütige, Menschen rettende Eisbären oder klerikale Freier, die sich am Ende als Wiedergänger entpuppen, einem unvoreingenommenen Lesen vorbehalten sein.
Ein Märchen, ein überaus kurzes, will ich hier aber gerne sogar in Gänze zitieren, erklärt es doch, wie es überhaupt zu dem Phänomen gekommen ist, das ja nicht nur, wie bereits erwähnt, die Einheimischen unabdingbar mit Island verbinden, sondern unzählige Menschen in der ganzen Welt: die Existenz der Elfen, des verborgenen Volks.
Und das kam so:
Eva und ihre Kinder
Einmal kam der liebe Gott unerwartet zu Adam und Eva auf Besuch. Diese zeigten ihm alles, was sie hatten, zuletzt auch ihre Kinder. Dem lieben Gott schienen sie wohlgeraten. Er fragte jedoch Eva, ob dies alle ihre Kinder seien. Eva bejahte es, die Wahrheit war aber, dass sie einen Teil ihrer Kinder versteckt hielt. Denn sie hatte sie noch nicht gewaschen und schämte sich, sie dem lieben Gott so schmutzig zu zeigen. Doch der liebe Gott kannte den Sachverhalt und sagte über die von ihr versteckten Kinder: „Was vor mir verborgen sein soll, soll auch vor den Menschen verborgen werden.“ Diese Kinder Evas wurden nun für das Menschengeschlecht unsichtbar und lebten künftig als Elfen in Hügeln, Höhlen und Felsen.
Und weil das so ist, haben manche Straßen in Island auch heute noch keinen schnurgeraden Verlauf, sondern führen in einem geschwungenen Bogen um den einen oder anderen Hügel herum. Es sei denn, man hat sich vorher mit den Elfen verständigt, und diese haben einem Umzug in eine andere Gegend zugestimmt.
Erschienen ist die Sammlung Märchen aus Island im Verlag Königsfurt-Urania in Krummwisch bei Kiel.
Kommt direkt auf den Merkzettel. Danke für den Tipp!
Tja Stefan, da bist du nicht der Einzige, bei dem das Buch auf dem Merkzettel – und in Kürze wohl vor der Lesebrille landet.