R.I.P. – Ein neuer Krimi aus Island

Kommissar Huldar und die Psychologin Freya ermitteln

Wolken über Island – Foto: Wolfgang Schiffer

Bereits seit vielen Jahren gilt die Isländerin Yrsa Sigurðardóttir als eine der besten Krimiautorinnen, und das nicht nur in ihrem Land, sondern international. In mehr als 30 Sprachen übersetzt, hat sie letzte Zweifel hieran spätestens mit der Einführung des Ermittler-Duos Huldar und Freyja ausgeräumt, er Mitarbeiter der Mordkommission in Reykjavík, sie Kinder- und Jugendpsychologin.

Das war 2014 in dem Roman DNA, zwei Jahre später unter demselben Titel auch hierzulande erschienen, in dem ein offensichtlich von kryptischen Rechenaufgaben Besessener mehrere Menschen mit Haushaltsgeräten ermordet. Da hatten die Beiden sogar noch die Chance, auch im Privatleben ein Paar zu werden, aber der etwas scheue und wortkarge Huldar hat dies, salopp gesagt, durch sein Verhalten gehörig vermasselt.

Das Empfinden der Beiden füreinander, offen gezeigt von ihm, nur in größten persönlichen Krisen von ihr, bleibt jedoch bestehen; daran ändert sich selbst nach Huldars größtem Fehltritt nichts, nämlich einem One-Night-Stand mit seiner ehemaligen Untergebenen Erla – die nun 2015 in Sogið, in deutschsprachiger Übersetzung 2017 als SOG erschienen, zu seiner Vorgesetzten geworden ist.

Und seine Chefin ist Erla auch jetzt noch – in dem wie alle vorherigen Fälle im btb Verlag aktuell erschienenen dritten Fall, dem Roman R.I.P., allerdings ist die Zusammenarbeit mehr als belastet, denn gegen Erla läuft im Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Vorfall eine Untersuchung wegen sexueller Belästigung.

In Island ist R.I.P. bereits vor drei Jahren erschienen, und das unter dem Titel Aflausn, zu Deutsch Vergebung. Und Vergebung scheint eins der Schlüsselwörter zu sein in der Mordserie, die den früheren Fällen an Brutalität in nichts nachsteht.

Stella, ein junges Mädchen, das noch zur Schule geht und nebenher in einem Kino arbeitet, wird dort nach Ende der Vorstellungen von einem Maskierten brutal erschlagen. Videoclips, die von ihrem Smartphone per Snapchat an Freundinnen und Freunde verschickt werden, zeigen wie sie in der Toilette kniet und immer wieder um Vergebung bittet. Als die Polizei eintrifft, sind Stella und Smartphone längst verschwunden, nur eine Blutspur am Boden und die Aufzeichnung der Überwachungskamera zeugen von ihrem Schicksal. Als man die Leiche schließlich hinter einem verwahrlosten Kiosk findet, liegt ein Stück Papier bei ihr, und darauf steht die Zahl „2“.

Auch wenn Erla versucht ist, Huldar und dessen Kollege Guðlaugur möglichst aus den Ermittlungen herauszuhalten, so müssen sie sich schließlich doch zusammenraufen, spätestens als nur wenige Tage später Egill, einem Jungen dasselbe widerfährt. Auch von ihm werden per Snapchat Videos, in denen er immer wieder um Vergebung bittet, in Umlauf gebracht; wie Stella bleibt auch er zunächst verschwunden, sodass die Ermittler und vor allem die Eltern sogar noch Hoffnung haben, Egill könne noch am Leben sein. Doch diese Hoffnung währt nicht lange, der Fund der Leiche zeigt, dass er einen langsamen, grausamen Tod erlitten haben muss. Gekennzeichnet ist die Leiche mit der Zahl „3“.

Gibt es also noch eine Leiche, markiert mit einer „1“? Ein früher zu Tode gekommener Mensch, der nur noch nicht gefunden wurde? Erla und ihr Team stehen unter gewaltigem Druck und ermitteln in alle Richtungen. Nur dem Verdacht, dass die Morde etwas mit Mobbing unter Schülern, mit möglichen Racheakten, zu tun haben könnten, wie Freyja vermutet, die von Huldar zu den Befragungen der Schuldfreundinnen und –freunde der Toten hinzugezogen worden ist, will sie zunächst nichts wissen. Doch bald sprechen die Spuren eine eindeutige Sprache. Und ein Geständnis per Brief findet sich ebenfalls. Nur lösen lässt sich das Rätsel um die Täterschaft damit noch lange nicht. Aus Erlas Mund klingt dies im Roman selbst wie folgt:

Weißt du eigentlich, was ich alles zu bewältigen habe? Dieser Perversling Arnar Björnsson sitzt als Verdächtiger im Vernehmungsraum. Wahrscheinlich verantwortlich für die Morde, die Mörður in seinem Brief auf sich genommen hat. Plus einen weiteren. Mörðúr ist tot, und es ist so gut wie ausgeschlossen, dass er jemanden umgebracht hat. Und um das Chaos perfekt zu machen, fehlt eine komplette Leiche, damit die Rechnung aufgeht. Noch dazu sitzen mir die Medien im Nacken, die dahintergekommen sind, dass Egills Leiche gefunden wurde und wir einen Mann verhaftet haben. (…) Über all das muss ich die Direktion auf dem Laufenden halten und gleichzeitig den Juristen mit Stoff für diverse Anträge füttern, die wir stellen müssen, um voranzukommen. Und dann gibt es da noch eine Frau, der das halbe Gesicht fehlt und die die Hauptursache für die Morde zu sein scheint, wenn man etwas auf den Unsinn geben kann, den ihr Vater hinterlassen hat.

Yrsa Sigurðardóttir – Foto: Wolfgang Schiffer

Dass am Ende dieser von Anika Wolff gewohnt souverän übersetzten Kriminalgeschichte um ein leider aktuelles soziales Phänomen dennoch alle Fäden zusammenfinden, ist Yrsa Sigurðardóttirs großer Meisterschaft zu verdanken, einen Plot zwar in vielfältige Richtungen zu verästeln, stets aber mit zielgerichteter Konsequenz auf seine (lange Zeit verdeckte) Lösung voranzutreiben. Für die Leserin, den Leser ist dies ein großes Vergnügen, verleitet es doch immer wieder zu Mutmaßungen in verschiedenste Richtungen und hält die Spannung aufrecht bis zum Schluss. Einem Schluss, der trotz der Aufklärung des Falles auch diesmal erneut ein offenes Ende hat: Die Zukunft der privaten Beziehung zwischen Huldar und Freyja bleibt ungeklärt. Wir warten auf Fortsetzung.

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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4 Antworten zu R.I.P. – Ein neuer Krimi aus Island

  1. hajoschneider schreibt:

    Neuer Lesestoff aus Island, gottseidank …

  2. Constanze Matthes schreibt:

    Ich muss endlich und erst einmal mit „DNA“ die Autorin kennenlernen. Hört sich superspannend an. Viele Grüße

  3. ralphbutler schreibt:

    Hat dies auf Blütensthaub rebloggt.

  4. schifferw schreibt:

    Lieben Dank fürs Weitergeben!

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