Dichtung von der Insel aus Feuer und Eis (52)

Meine Reise durch die isländische Poesie

Reykjavík, Hafen – Foto: Sybille Schütz

Mit einem leichten Schrecken habe ich festgestellt, dass es bereits eine recht lange Weile her ist, seit ich hier eine letzte Station auf meiner Reise durch die Dichtkunst Islands markiert habe, ja, ich kann nicht einmal mir selbst verheimlichen, dass ich dieses „Projekt“ beinah ganz vergessen hätte.

Heute jedoch ist mir einmal mehr ein bestimmter Anlass Grund genug, es wieder aufleben zu lassen, ja, ich scheue mich nicht einmal, es aus eben diesem Anlass sogar mit der wiederholten Vorstellung eines Autors zu tun, den die Leserinnen und Leser meines Blogs natürlich längst kennen: Ragnar Helgi Ólafsson. Seiner hier folgend noch einmal zitierten Biografie ist allerdings hinzuzufügen, dass er Ende 2017 ein weiteres Buch veröffentlicht hat, Handbók um minni og gleymsku / Handbuch der Erinnerung und des Vergessens, mit dem er als einer von drei Kandidat*innen für den Isländischen Literaturpreis nominiert war.

Ragnar Helgi Ólafsson, geb. 1971 in Reykjavík / Island, studierte an der Universität von Island Philosophie, Filmregie an der New York Film Academy und im Anschluss in Frankreich zunächst Französisch in Marseille und danach Kunst in Aix en Provence. Nach mehreren Kurzfilmen arbeitet er in den letzten Jahren vornehmlich als Grafikdesigner und bildender Künstler mit zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen, zudem betreibt er den Tunglið Forlag, den Mond Verlag, in dem jährlich zwischen acht und zwölf Publikationen mit fiktiver Prosa und Lyrik erscheinen. 2013 veröffentlichte er in Island mit Bréf frá Bútan / Briefe aus Bhutan einen ersten eigenen Roman sowie anschließend eine Sammlung mit Kurzgeschichten, 2015 folgte der erste Gedichtband Til hughreystingar þeim sem finna sig ekki í samtíma sínum / Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können, für den er mit dem Tómas-Guðmundsson-Poesie-Preis ausgezeichnet wurde, einem Preis, den die Stadt Reykjavík zum Andenken an den gleichnamigen bekannten isländischen Schriftsteller und Lyriker (1901 – 1983) alljährlich an herausragende Werke der isländischen Dichtkunst vergibt.

Island, Grótta – Foto: Wolfgang Schiffer

In Böhmen wissen die Menschen,
dass ihre Selbstbildnisse zerbrechlich sind.

Von diesem Wissen und von vielem mehr zeugt Ragnar Helgi Ólafssons Gedichtband Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können, im Oktober 2017 zweisprachig ediert im Elif Verlag veröffentlicht und vor wenigen Tagen bereits erschienen in 2. Auflage. Darüber freuen sich der Dichter ebenso wie der Verlag – und die Übersetzer Jón Thor Gíslason und ich.

 

NOCH EIN PAAR WORTE ÜBER SPIEGEL

 Es wird erzählt
dass Gott, bevor er auf die Idee kam,
die Welt zu erschaffen,
in den Spiegel geschaut habe.¹

Das Spiegelbild
ist zunächst
ein genaues Ebenbild dessen, was gespiegelt wird,
doch
dann bekommt es ein Eigenleben.

So hat ein Gedanke über einen Gedanken die Welt erschaffen.

In Böhmen wirst du im Schlafzimmer
keinen Spiegel finden.
Dort wird es als sehr gefährlich angesehen,
wenn ein schlafender Mensch
sein Spiegelbild sieht.

In Böhmen wissen die Menschen,
dass ihre Selbstbildnisse zerbrechlich sind.

Eins gibt es, worüber ich immer nachdenken muss:
Was passiert,
wenn ein Chamäleon
in den Spiegel schaut?

¹ Zum damaligen Zeitpunkt gibt es weder Raum noch Zeit, geschweige denn irgendeine Materie, und daher ist es wahrscheinlich, dass Gott eher über Gott nachgedacht hat, als buchstäblich in den Spiegel geschaut zu haben. Aber ein Gedanke über einen Gedanken über sich selbst ist ja in gewisser Weise ein Spiegel.

 

NOKKUR ORĐ TIL VIĐBÓTAR UM SPEGLA

Sagt er að
áður en Guði datt í hug
að skapa heiminn
hafi hann litið í spegil.¹

Spegilmyndin er
í fyrstu
nákvæm efirmynd þess sem speglað er
en
síðan fær hún eigið líf.

Þannig skapaði hugsun um hugsun heiminn.

Í Bæheimi finnurðu hvergi spegil
í svefnherbergi.
Þar er það talið mikið hættuspil
sjái sofandi maður
spegilmynd sína.

Í Bæheimi vita menn
að sjálfsmynd manna er brothætt.

Eitt er það sem ég get ekki hætt að hugsa um:
Hvað gerist
ef kamelljón
lítur í spegil?

¹ Þegar hér er komið sögu er hvorki rúm né tími, hvað þá efni, komið til sögunnar og því er líklegt að Guð hafi hugsað um Guð, frekar en að líta bókstaflega í spegil. En hugsun hugsunar um sjálfa sig er jú nokkurs konar spegill.

Zur Freude über die 2. Auflage empfinde ich eine gewisse Vorfreude übrigens noch obendrauf. Nach so manchen Lesungen der Gedichte von Ragnar Helgi Ólafsson – in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Siegburg, Wuppertal und anderen Städten – habe ich nämlich bald das Vergnügen, Buch und Texte umfassend auch in Köln vorstellen zu dürfen: am 4. März um 17:00 Uhr im KulturSalon Freiraum im Rahmen des Programms Die Isländer kommen II – einer kleinen, sich über vier Wochen erstreckenden Veranstaltungsreihe mit einer Ausstellung von Jón Thor Gíslason, der ja vor allem anderen Maler ist,  mit Film, Stand-Up-Comedy und Literatur.

Hjartanlega velkominn!

 

Werbung

Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
Dieser Beitrag wurde unter Ausstellung, Übersetzung, Belletristik, Island, Isländische Literatur, Lyrik, Wortspiele abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Dichtung von der Insel aus Feuer und Eis (52)

  1. finbarsgift schreibt:

    Schön, dass dieser feine Gedichtband von Olafsson in die 2. Auflage geht *freu*
    Dir einen feinen Tag, lieber Wolfgang!
    LG vom Lu

Kommentare sind geschlossen.