Far vel, kæri vinur!

Im Gedenken an den isländischen Schriftsteller und Dichter Sigurður Pálsson

Eigentlich wollte ich heute einen Beitrag zu einem Roman über Punk in der deutschen Provinz fertigstellen, doch da erreicht mich die Nachricht, dass der isländische Schriftsteller und Dichter Sigurður Pálsson gestern gestorben ist. Da erfährt jegliche Tagesplanung eine neue Wendung.

Persönlich getroffen habe ich Siggi, wie ihn seine Freunde in Island nannten, das letzte Mal im April 2016. Ebenso eindrücklich in Erinnerung geblieben ist mir jedoch auch eine Begegnung im Sommer 2013 – der Grund war eine Radioarbeit über die isländischen Atomdichter, die Modernisierer der isländischen Lyrik nach dem 2. Weltkrieg, für die ich damals historische Aufnahmen recherchiert und Gespräche geführt habe.

In diesem Zusammenhang war ein Gespräch mit Siggi quasi Pflicht, denn es war nicht nur bekannt, dass er die Atomdichtung, die manchen anderen über viele Jahre hinweg als schlechte Poesie galt, über alle Maßen schätzte – ja, er war sogar selber noch als Jugendlicher von einem ihrer Vertreter, von Einar Bragi nämlich, als Lyriker entdeckt worden.

Bei diesem Gespräch – in dem sehr schönen, in einer Quergasse zu Reykjavíks Flaniermeile Laugavegur gelegenen Kaffi Rosenberg – war Sigurður Pálsson bereits schwer gezeichnet von seiner Krebserkrankung – aber er war zuversichtlich, so seine eigene Äußerung, dass der Krebs ihn nicht darin hindern könne, sein Werk fortzuschreiben und zu beenden.

Ob ihm dies gelungen ist, ist angesichts seiner außerordentlich schöpferischen Kreativität kaum zu beurteilen, noch im letzten Jahr jedoch hat er mit Ljóð munna rödd (in etwa: Gedichte erinnern sich an eine Stimme) der Nachwelt einen wunderbaren Gedichtband hinterlassen, der allein im Zeitraum seines ersten Erscheinens im September bis zum Dezember des Jahres zwei Neuauflagen erfuhr.

Sigurður Pálsson wurde 1948 in Nordisland geboren; er studierte französische Sprache und Literatur in Toulouse und an der Sorbonne in Paris, ebenso Theaterwissenschaften und Filmregie. Seit seiner Rückkehr nach Island in 1975 war er als Dozent an Theater- und Schauspielschulen tätig, arbeitete als Journalist und bei Film und Fernsehen.

Vor allem aber veröffentlichte er seit seinem 1976 erschienenen lyrischen Debüt Ljóð vega salt (Gedichte in der Waage) zahlreiche weitere Gedichtbände, Romane, Theaterstücke, Fernseh- und Radiomanuskripte sowie Übersetzungen, insbesondere aus dem Französischen – Veröffentlichungen, für die er zahlreiche literarische Ehrungen und Auszeichnungen erhielt, u. a. in 2007 den Isländischen Literaturpreis und ein Jahr später die Auszeichnung Chevalier de l´Ordre du Mérite für seinen Beitrag zur Verbreitung französischer Kultur in Island.

Leider ist sein Werk, anders als insbesondere in Frankreich, aber auch in weiteren Sprachräumen, hierzulande kaum übersetzt und publiziert – meines Wissens hat ihn allein die Literaturzeitschrift die horen gelegentlich vorgestellt, zuletzt in dem Band über Islands Atomdichter Bei betagten Schiffen.

Hieraus sei nun auch zur Erinnerung an ihn das folgende Gedicht, das ich seinerzeit gemeinsam mit  Jón Thor Gíslason ins Deutsche übertragen habe, zitiert.

Andere Leben

Es gibt andere Leben die gelebt werden
andere Grüße gerichtet an andere Menschen
 
Den Strahl des Monds der einst über die Schneebank glitt
erinnere ich nicht mehr

Ich sitze hier bei heißem Kaffee
in der Stille des Morgens;
 
ein anderer Mond den ich noch nie gesehen habe
ist gerade verblasst
 
und die Frau die Brot kauft im Laden
kennt mich nicht

Gute Reise, lieber Freund! Und hab´ Dank für Dein großartiges Werk!

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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7 Antworten zu Far vel, kæri vinur!

  1. Maren Wulf schreibt:

    Das Gedicht berührt mich sehr – danke.

  2. Peter Ettl schreibt:

    Die Welt wird ärmer wenn einer stirbt, der sie erhellt hat. Inside Voices – Outside Light ist einer meiner Lieblingsbände von Pálsson. Danke für den Nachruf!

  3. axel k.p. becker schreibt:

    das Gedicht ist „something extraordinary“; es gehört zu der Art Gedichte, die mich umhaun

  4. Pingback: Ljóðbréf – Poesiebriefe aus Island | Wortspiele: Ein literarischer Blog

  5. Pingback: Sigurður Pálsson – Gedichte erinnern eine Stimme – LiteraturReich

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