Dichtung von der Insel aus Feuer und Eis (51)

Meine Reise durch die isländische Poesie

Reykjavík – Hafen und Harpa. Foto: Wolfgang Schiffer

Wiewohl in den letzten Monaten intensiver mit Übersetzungen aus dem Isländischen beschäftigt als je zuvor, datiert – so meine soeben gemachte Entdeckung – die letzte Station meiner als solche gekennzeichnete Reise durch die isländische Poesie auf den 18. September vergangenen Jahres.

Warum ich so viel Zeit habe verstreichen lassen, ist mir nun selber ein kleines Rätsel – erklären kann ich es mir allenfalls mit eben jener Arbeit an Übersetzungen, unter anderem an der des gelegentlich bereits erwähnten Gedichtbands von Ragnar Helgi Ólafsson und meiner Vorfreude auf dessen baldiges Erscheinen im Elif Verlag. Wirklich entgegensetzen kann ich dem Rätsel heute allerdings nichts anderes als ein Gedicht, ein Gedicht eines anderen isländischen Autors.

Dieser ist Sveinn Yngvi Egilsson; auf der Station 48 meiner Reise habe ich ihn bereits kurz vorgestellt; jetzt will ich es ein wenig ausführlicher tun.

Sveinn Yngvi Egilsson wurde 1959 geboren, er studierte isländische und schottische Literatur an den Universitäten in St. Andrews und in Reykjavík und ist neben seiner literarischen Tätigkeit heute Professor für isländische Literatur an der Fakultät für isländische und vergleichende Kulturwissenschaften an der Universität Islands.

Sein Schwerpunkt in Forschung und Lehre ist die moderne isländische Literatur – und hierin nicht zuletzt die isländische Poesie, zu deren  romantischen und postromantischen Aspekten er ein Buch mit dem Titel Die Natur der Poesie veröffentlichte, das 2014 für den isländischen Literaturpreis nominiert wurde. Zuvor hat er für viele Jahre als Verlagsredakteur, als Lehrer und Dozent sowie als Mitherausgeber von Skírnir, der Zeitschrift der Isländischen Literaturgesellschaft gearbeitet.

Neben literaturwissenschaftlichen Werken veröffentlichte er Bände mit Gedichten und lyrischen Prosaskizzen – hier  unter anderem im Verlag 1005 – Kind in Reykjavík 2014 den Band Hjarðljóð úr Vesturbænum / Hirtengedichte aus der Weststadt, dem der folgende Text entnommen ist. Die Übersetzung ist einmal mehr in schönster Zusammenarbeit mit meinem Malerfreund Jón Thor Gíslason entstanden.

 

TISCHMANIEREN

Der Tod kommt wie ein eher sympathischer, doch ungebetener Gast zum Nachmittagskaffee, zu dem  allerdings keiner so richtig eingeladen war, und setzt sich auf den besten Stuhl. Entspannt nimmt er eine Ecke vom Tischtuch und reibt den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger. (Das ist schwedisches Leinen, obwohl es in diesem Zusammenhang vielleicht nichts zur Sache tut.) Und schneller, als es das Auge erfassen kann, reißt er das Tuch unter all dem weg, was dort liegt. Klappernde Tassen und zitternde Kuchen merken nicht eher davon, bis sie auf der nackten Tischplatte stehen, doch ohne sich von der Stelle gerührt zu haben.

    Es gibt selbstverständlich keinen Grund, die Kaffeetafel aufzuheben, aber irgendwie ist die Stimmung rauer geworden. Nehmt unbedingt mehr davon, sagt der Gastgeber, es ist genug zu essen und zu trinken da.

   Der auf dem besten Stuhl sitzt da mit dem verknitterten Tischtuch im Arm wie einer, der weiß, dass er sich schämen sollte, scheint aber keinen Appetit zu haben.

  Für eins ist immer noch Platz, sage ich ungewöhnlich lebhaft und strecke mich nach dem letzten Stück.

 

BORÐSIÐIR

Dauðinn kemur eins og fremur viðkunnanleg boðflenna í eftirmiðdagskaffi, sem enginn var svo sem sérstaklga boðinn í, og sest í besta stólinn. Hann tekur hæglætislega í hornið á borðdúknum og þreifar á efninu með þumli og vísifingri. (Þetta er sænskur hördúkur, þó að það skipti kannski ekki máli í þessu samhengi.) Hradðar en auga á festi rykkir hann dúknum af borðinu undan öllu því sem þar er. Glamrandi bollar og titrandi kökur vita ekki furr til en þau standa á berri borðplötunni en hafa þó ekki hreyfst úr stað.

   Það er auðvitað engin ástæða til að blása kaffiboðið af en einhvern veginn er stemmningin orðin hrárri. Fáið zkkur endilega meira, segir gestgjafinn, ekki vantar veitingarnar.

   Þessi í besta stólnum situr með kuðlaðan dúkinn í fanginu eins og sá sem veit upp á sig skömmina en virðist ekki hafa neina lyst.

   Maður getur alltaf á sig blómum bætt, segi ég furðu hresslega og teygi mig í síðustu sneiðina.

Jón Thor Gíslason: o.T. 2011, Bleistift auf Buetten, 42 x 30 cm

 

Jón Thor: Jón Thor Gíslason: o.T. Bleistift auf Bütten, 42 x 30 cm

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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4 Antworten zu Dichtung von der Insel aus Feuer und Eis (51)

  1. Elisabeth Stippler schreibt:

    Lieber Wolfgang,

    die Zeichnung von Jon Thor und das Gedicht sind sehr schön.

    Bist du noch in Köln? Wie geht es Markéta?

    Ich habe viel an Euch gedacht.

    Liebe Grüße Elisabeth

  2. Thomas Stiegler schreibt:

    Das ist ein wunderbarer Text. Danke daß Du den geteilst hast. Am berührensten fand ich das Bild daß die Tassen und Kuchen plötzlich auf der nackten Tischplatte stehen ohne daß sie merken oder wissen warum.

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