Zum Tod des isländischen Schriftstellers Sigurður A. Magnússon

Sigurður A. Magnússon als Vorsitzender des Schriftstellerverbands im Kreis seiner Kolleginnen und Kollegen, gezeigt anlässlich einer ihm gewidmeten Ausstellung im Þjóðmenningarhúsið, dem Kulturhaus in Reykjavík, 2010
Auch wenn ich wusste, dass es um seine Gesundheit seit einiger Zeit nicht mehr zum Besten stand, so hat mich die Nachricht von seinem Tod am 3. April dieses Jahres doch tief getroffen. Sigurður A. Magnússon, den seine Freunde nur SAM nannten, war als Schriftsteller und Übersetzer nicht nur ein unermüdlicher Vermittler isländischer Literatur und kultureller Brückenbauer, er war mir seit der ersten Zusammenarbeit an dem Lesebuch Island – Wenn das Eisherz schlägt, 1986 als Themenband in der Literaturzeitschrift „die horen“ erschienen, vor allem ein guter Freund.
Mit ihm habe ich nach der Aufhebung des Bierverbots in Island am 1. März 1989 mein erstes Bier in einem isländischen Restaurant getrunken (bis dahin war stets Wodka unser Getränk gewesen, weshalb SAM sich auch nur zu einem Bier als Aperitif überreden ließ…), ihn und eine von ihm geführte Reisegruppe habe ich in einer Pause der Oper „Aida“ im Herodes Atticus am Fuße der Akropolis getroffen und zu einem lang währenden Essen in die Plaka geführt – wir haben gemeinsam gelacht und auch geweint, wenn uns Wehmut überkam, wir haben miteinander getrauert, wenn gemeinsame Freunde von uns gegangen sind.
Und jetzt auch er! In Gedanken bin ich bei den Seinen!
Noch am 31. März beging Sigurður A. Magnússon seinen 89. Geburtstag. Er war ein äußerst vielseitiger Autor, veröffentlichte zahlreiche Bücher in isländischer und englischer Sprache, darunter Romane, Gedichte, Essays, Theaterstücke, Reiseberichte, Memoiren und – Bücher über das Islandpferd.
Studiert hatte er Literatur und andere Disziplinen (u. a. Religion, Geschichte, Griechisch) an der Universität von Island, in Kopenhagen und in Athen. Er arbeitete als Radiosprecher bei den Vereinten Nationen, lehrte Isländisch am City College of New York und war Redakteur und Herausgeber bei verschiedenen namhaften isländischen Zeitungen und Zeitschriften.
Sein auch hierzulande bekanntes Buch ist sein erstes autobiografisches Werk Undir kalstjörnu / Unter frostigem Stern, für das er 1980 mit dem DV-Kulturpreis ausgezeichnet wurde. Bereits 1955 war ihm für seine Verdienste um den Kulturaustausch das Goldene Kreuz des griechischen Phönix-Ordens verliehen worden, manch weitere Ehrungen folgten: u. a. die Nominierung zum Literaturpreis des Nordischen Rates, ein nach Jean Monnet benannter Europäischer Literaturpreis und die Ehrenmitgliedschaft des Isländischen Schriftstellerverbandes, dessen Vorsitzender er viele Jahre zuvor gewesen war.
Neben seinem eigenen literarischen Schaffen, den Arbeiten als Journalist und Herausgeber, war Sigurður A. Magnússon auch ein extrem produktiver Übersetzer. Davon zeugen seine zahlreichen Übertragungen aus dem Dänischen, dem Deutschen, dem Englischen und Griechischen von Autoren wie Hans Christian Andersen, Bertolt Brecht, Giorgos Seferis, Pandelis Prevalakis, Walt Whitman, James Joyce, Nagib Machfus, Kazuo Ishiguro John Fowles und Ernest Hemingway.
Mit anderen Worten: er hinterlässt ein großes Werk, das ihn den Seinen, den Landsleuten, vielen Freunden sowie Schriftstellerkolleginnen und Kollegen aus weiten Teilen der Welt für lange Zeit in Erinnerung halten wird.
Ich möchte heute – neben den Fotografien aus besserer Zeit – an ihn erinnern mit einem seiner Gedichte, das Wolf Kühnelt aus dem Isländischen übertragen hat.
Steilwand
Alles steht an seinem Platz
Bücher Bilder Andenken
vom stillen Flug des Jahres
auf dem Weg zum MeerWir ahnten weder die Steilwand
durch die uns der Wasserfall trug
noch die verborgene Tiefe
in die der Strudel uns zogNoch einmal sind wir davongekommen
auf messerscharfen Felsen
zerschunden kalt und keuchend
hinter uns der stille Strom
wie ein längst vergangener TraumNoch ist es weit bis zum Meer
und das Flussbett steinigOb wir gut
durch die nächste Stromschnelle kommen?
Zum letzten Mal haben SAM und ich uns 2013 getroffen, im legendären Café Mokka im Zentrum Reykjavíks. Dort erzählte er mir, wie er zusammen mit seinem Vater am 17. Juni 1944 durch Regen und Sturm nach Þingvellir geritten ist, um der Proklamation der Republik Island und damit der Unabhängigkeit von Dänemark beizuwohnen. In einem Radiofeature über Islands Atomdichter, deren erste Werke nach dem 2. Weltkrieg auch von SAM rezensiert wurden (im Gegensatz zu manch anderen Rezensenten jedoch positiv…), habe ich aus dieser Unterhaltung zitiert. Das vollständige Gespräch habe ich mir heute Nacht im Gedenken an ihn noch einmal angehört! Ruhe in Frieden, SAM!
ach — das tut mir sehr leid. ein traurig-schöner, ein wunderbarer nachruf.
mit ganz lieben grüßen,
diana
Lieben Dank, Diana, danke!
Danke, lieber Wolfgang. Das ist so wunderschön zusammengefasst. SAM ist in aller Hinsicht ein einmaliger Schriftsteller gewesen und noch etwas dazu: Ich kenne keine Schriftsteller (vielleicht mit der Ausnahme Wolfgang Schiffer) der seinen Kollegen gegenüber so generös war wie er!
Danke, liebe Sigrún, genau so, wie Du ihn charakterisierst, werden wir ihn in Erinnerung behalten!
Ein schöner Nachruf, lieber Wolfgang. Danke – auch für die persönlichen Erinnerungen.
Danke, liebe Anne-Marit!
Was für ein feiner Nachruf von dir, lieber Freund der isländischen Poesie…
Steilwand…ein zauberhaftes Poem…
Herzlichen Dank dir für deine Präsentation!
Liebe Frühlingsgrüße vom Lu
Dank Dir, lieber Lu, und sonnige Grüße zurück! Wolfgang
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Danke. Ein sehr schöner Nachruf.
Danke, mein Freund! Und auf bald!
Ein schöner Nachruf. ich erinnere mich sehr gut an ihn, als Du SAM nach Köln eingeladen hattest. As time goes by…..
Danke, liebe Sabine! Yes – time goes by…
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