Ein Isländer mordet mit Haushaltsgerät

Zu Yrsa Sigurðardóttirs neuem Kriminalroman DNA

Blick aus der Harpa, Reykjavíks Konzert- und Kongresshalle © Wolfgang Schiffer

Blick aus der Harpa, Reykjavíks Konzert- und Kongresshalle © Wolfgang Schiffer

Selbstbewusst zitiert der Verlag btb, der Anika Wolffs deutsche Übersetzung des Thrillers DNA der isländischen Autorin Yrsa Sigurðardóttir jüngst als Hardcover veröffentlicht hat, ein Zitat des Times Literary Supplement auf dem Titel: Yrsa Sigurðardóttir ist eine der besten Kriminalschriftstellerinnen der Welt.

Nimmt man allein die Vielzahl der Übersetzungen in andere Sprachen zum Maßstab, die ihr Werk erfährt, die zunehmenden Preise und Auszeichnungen, die ihr dafür zuteilwerden, und die – auch hierzulande – stetig wachsende Fangemeinde, so ist dem nicht zu widersprechen. Doch auch ihre Kriminalromane und Thriller selbst, mit denen sie trotz ihrer parallelen Tätigkeit als Ingenieurin die Leserinnen und Leser seit 2005 in hoher Schlagzahl erfreut, bestätigen die Wertung auf eindrucksvolle Weise – so jedenfalls sehe ich die Romane, die ich bislang aus ihrer Feder gelesen (und hier, wie Seelen im Eis oder Nebelmord, zum Teil auch besprochen) habe – seien es nun Fälle, die ihre alleinerziehende Rechtsanwältin Þóra Guðmunðsdóttir als private Ermittlerin zu lösen hatte, oder solche mit wechselndem Personal und oftmals einem gehörigen Schuss Mystery! Sie überzeugen durchweg durch ausgefallene, stimmige Plots, psychologisch ausgefeilte, glaubwürdige Charaktere, authentisches Kolorit und eine subtile Spannungsdramaturgie, die einen nur so die Seiten verschlingen, zum von Neugierde beflügelten Langstreckenleser werden lässt. Was will man mehr von einem Krimi!

In DNA, im Original 2014 mit dem isländischen Kriminalliteraturpreis, dem Blóðdropinn (Blutstropfen) ausgezeichnet, führt Yrsa Sigurðardóttir mit Huldar nun erstmals einen Kommissar als Hauptfigur einer Mordermittlung ein. Das Opfer ist Elísa, Mutter von drei Kindern und verheiratet mit einem Gynäkologen. Während dieser an einem Kongress teilnimmt, überrascht der Mörder die Frau im eigenen Haus – ihre beiden Jungs können gerade noch auf die Straße fliehen, doch Margrét, die siebenjährige Tochter, muss unter dem Bett versteckt miterleben, wie der Mörder der Mutter, das sei hier verraten, sprichwörtlich das Leben aus dem Leib saugt: mit einem Staubsauger als todbringende Waffe.

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Huldar, dem die Leitung der Ermittlungen wohl nur übertragen wurde, damit sich höherrangige Kollegen nicht die Finger an dem spektakulären Fall verbrennen, steht vor einem Rätsel: es gibt keine Hinweise aus der Nachbarschaft, außer einem Zettel mit kryptischen Zahlenreihen keine verwertbaren Spuren und erst recht keine Zeugen – nur das völlig traumatisierte Mädchen. Ihre Befragung findet mit Unterstützung der Leiterin des Kinderhauses statt, der Psychologin Freyja, der zu begegnen Huldar und erst recht ihr einen nicht gerade kooperationsfördernden Schock versetzt: noch ein paar Nächte zuvor war er nach einer Kneipentour unter Vorspiegelung einer falschen Identität, nämlich der eines Zimmermannes aus den Westfjorden, in ihrem Bett gelandet und hatte sich dann einfach davon geschlichen.

Die Angaben der kleinen Margrét, die man ihr in vorsichtigen Gesprächen zu entlocken sucht, bleiben ebenfalls mehr als diffus; immerhin, so kann sie sagen, habe der Mann einen großen, schwarzen Kopf gehabt – und er habe von einer anderen Frau gesprochen, die ebenfalls sterben müsse.

Und so geschieht es auch: nur wenig später steht Huldar vor der Leiche der verwitweten Ástrós, einer ehemaligen Biologielehrerin. Die Tötungsart war nicht weniger grauenvoll, und die mit einer Art Rechenaufgabe bekritzelten Papierschnipsel, die der Mörder zurückgelassen hat, sind nicht weniger rätselhaft. Und der Mord an Ástrós soll auch nicht der letzte gewesen sein.

Während der Leser nun Huldars mühsamer Ermittlungsarbeit folgt, bei der ihn Erla und der besonders engagierte Ríkharður unterstützen (Letzterer, so glaubt Huldar, wohl vor allem deshalb, um seinen Schmerz über die Scheidungsabsicht seiner ihm so wesensgleichen Frau Karlotta zu verdrängen), erfährt der Leser in einer steten Parallelhandlung von Karl und seinen Freunden Halli und Börkur, allesamt Amateurfunker, von denen nun allerdings nur noch der kontaktscheue Karl so recht aktiv ist. Er, der nach dem kürzlichen Tod seiner Adoptivmutter jetzt allein in der Wohnung lebt – sein Bruder, ebenfalls adoptiert, ist in den USA verheiratet – ist zu seiner großen Überraschung auf einen isländischen Zahlensender gestoßen, der Zahlen zu einer Art Geheimsprache nutzt, die nur mit einem bestimmten Code entschlüsselt werden kann.

Karl ist fasziniert von diesem Sender, hört und notiert alle Zahlenketten, die er funkt – bis ihm schließlich die Entschlüsselung gelingt und er zu seiner Verwunderung feststellen muss, dass es sich bei einer der Botschaften um seine persönliche ID-Nummer handelt, bei einer anderen um die der ermordeten Elísa… Aber was verbindet ihn mit dieser ihm völlig unbekannten Person? Und was will, wer immer die Zahlenreihen funkt, ihm damit sagen?

Je näher er und Kommisssar Huldar einer Antwort auf diese Fragen kommen, desto mehr rückt Karl selber in den Fokus der Ermittlungen. Und wir, die Leser, erinnern uns zunehmend an den Prolog, den die Autorin dem aktuellen Geschehen voran gestellt hat: der Schilderung von der Verteilung dreier, offensichtlich sehr aneinander hängender Waisenkinder auf verschiedene Familien. Enthält diese achtundzwanzig Jahre zurückliegende Episode womöglich den Schlüssel zu den derzeitigen Ereignissen?

Es ist schon meisterlich, wie Yrsa Sigurðardóttir mit großer Sicherheit an allen Handlungs- und Motivfäden der Geschichte zieht und sie zu einem Netz verknüpft, uns Schritt für Schritt die Fortschritte und mehr noch die Fehler der Ermittlungen miterleben lässt, uns nie wirklich nur platt aufs Glatteis einer falschen Spur führt und gleichwohl die Spannung hoch zu halten versteht – bis zu einem dann doch überraschenden Ende. Diesem und seiner Erklärung mag man vorhalten, dass angesichts der langen Vorgeschichte alles etwas hurtig kommt und knapp ausfällt – logisch, in sich stimmig sind sie wie die gesamte Plot-Konstruktion jedoch allemal! Und die Charaktere, die sie tragen, überzeugen einmal mehr – bis in die „Nebenrollen“ hinein – und erst recht als Protagonisten. Und soviel ist auch klar: Huldars und Freyjas Geschichte dürfte noch nicht zu Ende sein; da stecken noch viele gute Entwicklungsmöglichkeiten drin, so dass wir auf ihre Fortsetzung bereits jetzt gespannt sein können!

Ein Letztes: DNA gibt es, gelesen von Mark Waschke, auch als Hörbuch, mit derselben Coverillustration erschienen in der Hörverlag.

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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