… und noch einmal Jiří Orten…

Můstek – die Metrostation am Wenzelsplatz. Hier heißt es für viele umsteigen!
Nach den optischen Eindrücken von der
Frankfurter Buchmesse will ich heute, wie angekündigt, von einem erneuten
Aufenthalt in Prag, der Hauptstadt Tschechiens, berichten…
Wie wohl alle, die meinen „Wortspielen“ folgen, wissen, verbringe ich aufgrund einer glücklichen familiären Situation hier häufiger einen Teil meiner Zeit – mal für wenige Tage nur, manchmal auch für Wochen. Diesmal war es ein gutes Stück der zweiten Oktoberhälfte; herbstlich grau waren die Tage zumeist, allerdings zeigte sich bisweilen doch auch ein wenig kalte Sonne (bitte merken…) und ließ Glasfassaden und einige Dächer aufblitzen und auf den Bäumen und den Wegen das Laub in seinen gelb-braun-roten Farben glühen.
Einen solchen Tag haben meine Frau und ich genutzt, um noch einmal zum Nový židovský hřbitov, dem im Stadtteil Žižkov gelegenen Neuen jüdischen Friedhof hinaus zu fahren.

Eingang und Ausgang zum Neuen jüdischen Friedhof
Anders als noch im
Frühjahr galt unser Besuch diesmal nicht der Grabstätte der
Familie Kafka – nein, wir wollten zum Grab von
Jíří Orten, dem tschechischen Lyriker, der 1941 mit gerade einmal zweiundzwanzig Jahren zu Tode gekommen war und von dem ich hier in den „Wortspielen“ bereits
berichtet habe.

Ausschnitt aus dem Lageplan der Grabstätten bekannter Persönlichkeiten
Irgendeiner Quelle hatte ich hiernach entnommen, dass
Jíří Orten ebenfalls hier auf dem
Neuen jüdischen Friedhof beerdigt liege – und tatsächlich, nach einem genaueren Blick auf den Lageplan der Gräber bekannterer Persönlichkeiten fanden wir die Position am äußeren, dem Eingangsgebäude gegenüber gelegenen Ende des Friedhofs, in einem abgegrenzten Areal für Urnengräber.

Erster Wegweiser zu Franz Kafkas Grab
Also folgten wir den Hinweisen zu Franz Kafkas Ruhestätte…

Zweiter Wegweiser zu Franz Kafkas Grab
… und dort angekommen schauten wir für eine Weile nach dem kleinen Delphin aus Stein, den wir bei unserem letzten Besuch zu anderen Steinen in eine kleine Schale gelegt hatten, doch er hatte sich ganz offensichtlich in etwas Anderes verwandelt, jedenfalls war er nicht mehr zu sehen.

Das Familiengrab Kafka
Viele Meter weiter, mal durch raschelndes Laub, mal durch regennass aufgequollene Erde, waren wir am Ziel, standen vor einer schlanken, schlichten Stele…

… darin eingraviert die Lebensdaten des Toten…

… und – auch wenn hier als Vierzeiler gemeißelt – zwei Zeilen aus der letzten seiner neun Elegien, posthum erschienen 1946…

In der von Peter Demetz im Arco Verlag herausgegebenen und auch übertragenen deutschsprachigen Ausgabe von Jíří Ortens Elegien lauten diese Zeilen wie folgt:
Berühr mich, willst du, fühl: wie das verschiedene Glück
andauert und der verschiedene Schrecken.
Später übrigens, als ich am Tag der Bibliotheken die in einer ehemaligen Markthalle untergebrachte, sehr schön gestaltete Prager Stadtteilbücherei Smíchov besuchte…

… fand ich im Regal für Poesie mehrere Ausgaben der Elegien von Jíří Orten…

… und – apropos ein wenig kalte Sonne – zu meiner großen Freude nicht weit davon entfernt eine Auswahl eigener Gedichte, die vor einigen Jahre ins Tschechische übersetzt worden war: Chladně Svítí Slunce / Kalt steht die Sonne

Alle Fotos: © Wolfgang Schiffer
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …
Ähnliche Beiträge
Über Wolfgang Schiffer
Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
Schön erzählt – vom Delphin, der sich verwandelt, bis zur Entdeckung eigener Werke in einer Stadtteilbibliothek – und dies alles auf den Spuren eines bei uns unbekannten Dichters. Danke – das ist feiner Lesestoff!
Ich danke für diese „feine“ Einschätzung!
Prag, das ist wohl schon noch eine Reise wert… Habs noch nicht besucht.
Was bleibt mir da zu sagen? Nichts wie hin!
Ich liebe Prag , den Schritsteller jedoch nicht und da ich den Namen nicht einmal richtig schreiben kann, belass ich es dabei. Danke fuer diesen eindruecklichen Spaziergang.
Schön für Prag – aber schade um den Dichter Orten! Es ist schon beeindruckend, welch ein lyrisches Werk er in seinen wenigen Lebensjahren geschaffen hat!
Danke,
für eine schöne Erinnerung, heute morgen,
wie ich vor 2 Jahren vor Kafkas Grab stand,
„mein Stein ist für Ottla“
sagte jemand
und das war mir traurig genug
für ein gedicht
Ich danke! Und glaube zu verstehen, was es meint, wenn Du sagst: „und das war mir traurig genug für ein gedicht“…
wenn du magst,
das meinte ich hier:
und die zwei zeitlich darauf folgenden tweets