Ein Denkmal für Rainer Maria Rilke in Prag
Zurück am Schreibtisch, will ich heute über den ersten der somit realisierten Vorsätze berichten.
Bislang gab es für den am 4. Dezember 1875 in Prag geborenen Dichter Rainer Maria Rilke in der Stadt seiner Kindheit und Jugend – ich habe darüber vor Zeiten in meinem Beitrag Übersetz mit den Rosenduft… berichtet – allein an der ehemaligen Piaristen Schule in der Straße Na Příkopĕ eine ihm gewidmete Gedenktafel, die darauf verweist, dass er diese Schule von 1882 bis 1886 besucht hat; eine Wandtafel an seiner Geburtsstätte in der Jindřišská Ulice sucht man dagegen nach wie vor vergebens – das Haus existiert auch nicht mehr in der ursprünglichen Form; ein späteres Bauwerk hat es ersetzt.
Seit etwa Mitte Juni nun hat Rainer Maria Rilke allerdings auch in seiner Geburtsstadt ein Denkmal, das diesen Namen verdient: einen grauen Granit-Quader, den neben Porträt und Lebensdaten des Dichters die letzten Verse seiner neunten Duineser Elegie zieren – und das in deutscher und tschechischer Sprache.Entstanden ist das Denkmal, das der 1925 in Orlová geborene tschechische Künstler und Bildhauer Stanislav Kolíbal geschaffen hat, auf Initiative der Europäischen Rainer Maria Rilke-Stiftung, insbesondere auf Initiative ihres Vorsitzenden, des Prager Physikers, Schriftstellers und Übersetzers Jirí Kostelecký, der sich seit Jahren um eine würdige Erinnerungsstätte Rilkes in der tschechischen Hauptstadt bemüht.
Das Projekt, so heißt es (und ist teils auch in der Presse nachzulesen), scheiterte jedoch lange an bürokratischen Schwierigkeiten und leider auch an dem einen oder anderen Ressentiment – so sollte das Denkmal ursprünglich bereits vor drei Jahren eingeweiht werden, allerdings an einem anderen Ort als dem, wo es heute steht – und auch hier, auf dem Řezáčovo Námešti, einem kleinen Platz im Stadtteil Holešovice, habe es, so hört man, zunächst ebenfalls große Probleme gegeben – manche Anwohner hätten sich mit der Begründung, Rilke habe ja in deutscher Sprache geschrieben, dagegen gestellt.
Auch wenn diese Bedenken offensichtlich ausgeräumt werden konnten, bei der Ablehnung einer beabsichtigten Umbenennung des Platzes ist es geblieben. Der Platz ist nach wie vor dem tschechischen Schriftsteller Václav Řezáč (1901 – 1956) gewidmet, dessen strikt sozialistisch geprägtes Spätwerk vor allem – so erinnert sich meine (ja tschechische) Gattin – Pflichtlektüre in den Schulen der kommunistischen Tschechoslowakei war.Bei der Denkmalseinweihung war unter anderem der deutsche Wissenschaftler, Ökologe und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker anwesend, der sich seit langem ebenfalls für die Europäische Rainer Maria Rilke-Stiftung engagiert. Er, so war es in einem Beitrag des tschechischen Rundfunks zu hören, erinnerte in seiner Rede an das Paneuropäertum des Dichters. Rainer Maria Rilke sei „als Deutscher in der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie in Prag geboren worden. Und gestorben ist er als tschechoslowakischer Staatsangehöriger in der Schweiz. Das ist ein Symbol für die Vielvölkereigenschaft von Europa.“
Der tschechische Komponist und bildende Künstler Vladimír Franz nannte Rilke in dem Beitrag einen „großen Prager, Europäer und im besten Sinne multikulturellen Menschen“; der ebenfalls anwesende tschechische Kulturminister Daniel Herman sagte, mit der Aufstellung des Denkmals habe Prag eine große Schuld beglichen.
Bereits seit 2007 steht übrigens ein ähnliches Monument, eine 3,30 Meter hohe Stele aus ebenfalls grauem Granit, auf dem Prager Platz in Berlin Wilmersdorf. Auch diese Skulptur, geschaffen allerdings von dem 1954 in Brno geborenen und dort auch lebenden tschechischen Bildhauer Miroslav Vochta, ist seinerzeit von Jirí Kostelecký initiiert worden und wurde der Stadt Berlin gestiftet von der Europäischen Rainer Maria Rilke-Stiftung und der Stadt Prag.Beide Monumente sind Teile eines Projektes der Stiftung, das den Namen “Unsere Geschichte kennt keine namenlosen Helden” trägt und für die friedliche und freundschaftliche Nachbarschaft von Deutschen und Tschechen steht.
Auch hierzu hat Ernst Ulrich von Weizsäcker sich geäußert. Für ihn symbolisierten die Denkmäler auch „die Zusammengehörigkeit von zwei wichtigen Kulturen und Kulturkreisen, dem slawischen und dem germanischen. Mitteleuropa war vor hundert Jahren eine große kulturelle Realität und ist dann durch die Gräuel der Nazizeit kaputt gemacht worden und dann durch den Eisernen Vorhang. Und muss jetzt wieder aufgebaut werden.“
Anmerkung I: Leider fand mein Besuch des Denkmals in Prag zu einer Zeit statt, als die städtischen Reinigungskolonnen, die anders, als in manchen Städten hierzulande, ihre Stadt wirklich sauber zu halten suchen, in ihrer Mittagspause waren. Meine Fotos belegen dies, sind aber keineswegs despektierlich gemeint.
Anmerkung II: Ein hier wiederzugebendes Foto des Berliner Denkmals habe ich nicht. Allerdings meine ich einer Aufnahme im Netz entnehmen zu können, dass hier ebenfalls Verszeilen des Dichters eingemetzt sind – u. a. aus seiner neunten Duineser Elegie. Anlass für mich, diese hier noch einmal zu zitieren, und dies in Gänze.
DIE NEUNTE ELEGIE
WARUM, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
Blattrand (wie eines Windes Lächeln) –: warum dann
Menschliches müssen – und, Schicksal vermeidend,
sich sehnen nach Schicksal?. . .
Oh, nicht, weil Glück ist,
dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.
Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,
das auch im Lorbeer wäre . . . . .Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch
ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
Wollen es werden. – Wem es geben? Am liebsten
alles behalten für immer . . . Ach, in den andern Bezug,
wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier
langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.
Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,
also der Liebe lange Erfahrung, – also
lauter Unsägliches. Aber später,
unter den Sternen, was solls: die sind besser unsäglich.
Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands
nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsägliche, sondern
ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun
Enzian. Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, –
höchstens: Säule, Turm . . . aber zu sagen, verstehs,
oh zu sagen so, wie selber die Dinge niemals
innig meinten zu sein. Ist nicht die heimliche List
dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,
daß sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?
Schwelle: was ists für zwei
Liebende, daß sie die eigne ältere Schwelle der Tür
ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher
und vor den Künftigen . . . ., leicht.Hier ist des Säglichen Zeit, hier seine Heimat.
Sprich und bekenn. Mehr als je
fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,
was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.
Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald
innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.
Zwischen den Hämmern besteht
unser Herz, wie die Zunge
zwischen den Zähnen, die doch,
dennoch, die preisende bleibt.Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm
kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,
wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig
ihm das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.
Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest
bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.
Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser,
wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt,
dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding –, und jenseits
selig der Geige entgeht. – Und diese, von Hingang
lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich,
traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln
in – o unendlich – in uns! Wer wir am Ende auch seien.Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn? – Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? – Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen –, einer,
ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.
Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall
ist der vertrauliche Tod.Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger . . . . . Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen.
Anmerkung III: Rainer Maria Rilkes Lyrik hat unter anderem auch großen Einfluss auf bedeutende tschechische Dichter wie František Halas, Vladimír Holan, Jan Zahradníček oder Jiří Orten gehabt. Über Vladimír Holán habe ich in meinen Beiträgen Das ist der Augenblick, der über / ein Brücklein jagt aus Vogelknochen…, Teil II und III, bereits kurz berichtet – Jiří Orten und seiner Geburtsstadt, der Unesco Weltkulturerbe-Stadt Kutná Hora, wird einer meiner bald folgenden Beiträge gewidmet sein.
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Vielen herzlichen Dank für diesen, wie immer brillant geschriebenen Text, eine wirkliche Freude, hierherzukommen und zu lesen…zu lesen…zu staunen! Viele liebe Grüsse
Herzlichen Dank mit viel Röte im Gesicht! Gute Grüße!
Der Frau Graugans schließe ich mich gerne an!
Diese roten Mülltonnen…gut, dass Sie es erklärt haben!
Danke – und ja, die Mülltonnen. Auch wenn sie das so erfasste Motiv wohl recht rar sein lassen, ich fühlte gleich, dass ich dazu etwas sagen sollte…
Die roten Mülltonnen gefallen mir besonders!
Danke für diese Seite der Fülle!
Mich freut schon, dass sie zumindest nicht stören! Danke!
Dieser wunderschöne Beitrag zu Prag, meiner Lieblingsstadt, und Rainer-Maria Rilke lassen mein Herz höher schlagen. Danke
Ich danke! Mich freut, dass es Sie freut!
Ich find die Mülltonnen auch ok, auch wenn Rilke sie bestimmt nicht schaetzen würde…
Wer weiß? In der Farbe gab es sie zu Rilkes Zeiten sicherlich noch nicht… Dank für den Kommentar!
Hat dies auf Ich sag mal rebloggt.
Herzlichen Dank für´s Weiterreichen, lieber Gunnar! Gute Grüße, Wolfgang
Hi Wolfgang, ein toller Bericht!
Aberrrr…sehr schlicht kommt es mir vor, das Rilke-Denkmal… *bissle enttäuscht guck*
sollte das nicht eher „eine poetische Turmnadel“ sein, die bis zum Himmel hinaufragt?!
Liebe Morgengrüße
vom Lu
Danke, lieber Lu – und ja und nein! Natürlich kann man sich ein solches Denkmal auch ganz anders vorstellen, aber derart in Stein gemeißelt, in deutscher und tschechischer Sprache, kommt auch angesichts der politischen Idee, für die das Monument ja ebenso steht, die Zeile „Siehe, ich lebe.“ schon sehr gut…
Gute Grüße, Wolfgang
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