Meine Reise durch die isländische Poesie
Erhalten hatte er die Auszeichnung für seine damals letzte Arbeit Mánasteinn: Drengurinn sem aldrei var til, einen Roman, der nun dank der Übersetzungsleistung von Betty Wahl seit einigen Wochen tatsächlich auch in unserer Sprache vorliegt – vom S. Fischer Verlag veröffentlicht unter dem Titel: Der Junge, den es nicht gab.
Meinem Glückwunsch ließ ich seinerzeit ein lyrisches „Rauchzeichen“ folgen: das Gedicht selbstporträt des Autors, das (wie übrigens auch der Roman) auf dessen produktive Auseinandersetzung mit dem Surrealismus verweist.
Gleiches will ich nun – neben der hier in den „Wortspielen“ bereits erfolgten Besprechung – im Nachklang zur deutschsprachigen Publikation des Romans ebenfalls tun – und das gleich mit zwei kurzen Gedichten.
Wie zuvor sind auch diese der 2006 im Buchkunstverlag Kleinheinrich erschienenen Gedichtsammlung des Autors entnommen, die neben den Namen Sjón und Koberling auf dem Cover im Innenteil den beredten Untertitel söngur steinasafnarans / gesang des steinesammlers trägt.
Aus dem Isländischen übertragen hat die Texte dieser Auswahl aus dem breiten lyrischen Schaffen des Autors – der, das sei hier nicht verschwiegen, u .a auch zahlreiche Lyrics für die weltbekannte isländische Sängerin Björk geschrieben hat und heute Präsident des Isländischen PEN ist – die sprach-sensibel verlässliche Übersetzerin Tina Flecken – der Link unter ihrem Namen führt zu einem lesenswerten Interview mit ihr.
Auch ist der bibliophil gestaltete Band wie so manch andere im Verlag erschienenen Übersetzungen isländischer Lyrik (zuletzt die von mir mitübersetzte Auswahl von Gedichten Stefán Hörður Grímssons, Geahnter Flügelschlag…) großzügig mit Reproduktionen von Aquarellen des bereits genannten Künstlers Bernd Koberling ausgestattet, die stets in freier Assoziation zu den jeweiligen Texten entstehen. Eine Vorzugsausgabe mit den Originalen gab es natürlich auch – wie zu all den von ihm mitgestalteten Bänden in der Verlagsreihe Isländische Literatur der Moderne.
(nacht)
glitzernd
dunst vom meer
die straßenlaternen wurden heller
ein scheinwerfer strahlte in jedem tropfen
auf meinen brillengläsern
wir saßen draußen auf dem balkon
und schnitten zitronen
warfen die scheiben hinunter
so dass sie die straße bedeckten
glitzernd
augen und augen
in der nacht(der zitrone)
(nótt)
glitrandi
mistur af hafi
götuljósin stækkuðu
eitt ljósker skein í hverjum dropa
á gleraugunum mínum
við sátum úti á svölum
og skárum sítrónur
köstuðum sneiðunum fram af
svo þær þöktu götuna
glitrandi
augu og augu
í nóttinni(sítrónunnar)
(zwei augenblicke)
ein goldener hase springt
von der dachtraufe*
sonnenblumen wenden ihre köpfe
zur stadt*
generationen
von marmorlöwen schweigen
am berg(ein atemzug)
(tvö augnablik)
gullinn héri stekkur
af þakbrún*
sólblóm snúa krónum
að borginni*
kynslóðir
marmaraljóna þegja
í fjallinu(andartak)
Pingback: Dichtung von der Insel aus Feuer und Eis (49) | Wortspiele: Ein literarischer Blog