(Wieder)entdeckungen bei neuerlichen Streifzügen durch Prag
Nun, mich hat die Suche als erstes den poetischen Zyklus Noc s Hamletem / Nacht mit Hamlet kennen lernen lassen – das im Antiquariat Sülzen in Berlin zu einem äußerst fairen Preis gefundene Exemplar der bibliophilen deutschen Erstausgabe von 1969 ist endlich – nach neun langen, Nervosität schürenden Posttagen – gestern in der Frühe bei mir eingetroffen: der Merlin Verlag wusste damals, wie man rein äußerlich schon das Interesse weckt für ein Buch (s. o. Abb.). Und für Zeilen, die (zumindest mich auf merkwürdige Weise) nachdenklich machen, sorgen der Autor und sein Übersetzer Reiner Kunze.
Als wir schließlich in dem kleinen Innenhof in der Cihelná angekommen sind, reicht es uns, nur noch von außen einen Blick auf den Museum Shop und das Museum zu Ehren von Franz Kafka selbst zu werfen – diesem großen Sohn der Stadt und vor allem den „Verwertungsmöglichkeiten“, die er bietet, werden wir, wie ich bereits früher einmal im Zusammenhang mit einem kleinen Bericht über die tschechische Franz Kafka Gesellschaft erwähnt habe, noch häufig begegnen – darin läuft er sogar dem deutlich jüngeren und noch lebenden Bildhauer David Černý den Rang ab, obwohl auch der aus dem Prager Stadtbild bald (s. auch den ersten Teil dieser Prag-Berichte) nicht mehr wegzudenken sein wird. Im Vergleich mit der gestalterischen Einfältigkeit, in der man auch asiatische Touristen für z. B. Franz Kafka T-Shirts begeistern will, lassen sich seine Skulpturen jedoch, gleich ob sie als Sigmund Freud von einem Dachstreben baumeln, als Kleinstkinder den Fernsehturm erklettern oder schlicht nur pinkeln, immerhin eindeutig als Kunstanstrengungen erkennen.Das unerklärbare eines satzes,
den wir in seiner dunkelheit nicht fassen,
entzündet sich gelegentlich zu einem sprühen,
daß wir geblendet werden … Eben das reale ist
das metaphysische … Doch liebende
haben´s nicht gern, wenn zwischen dem rätsel
und der möglichkeit des erratens
der scharfsinn sanft seine spitzen kappt … Die wortwörtlichen,
umarmen und küssen sich und ahnen nicht,
daß auch gefahr gewohnheit wird und übergeht in gleichgültigkeit.
Wenige Schritte nach der Kirche St. Martin in der Mauer gelangen wir quer durch die Platýz-Passage auf die Národní třída, die Hauptverkehrsstraße, die das Moldauufer u. a. mit dem Wenzels Platz verbindet. Beim diesseitigen Eingang der Passage macht meine Frau mich auf eine oben am Mauerwerk auf einer Eisenstange sitzende kleine Eule aufmerksam. In früheren Zeiten, so erzählt sie mir, soll es in der Platýz-Passage auch ein Bordell gegeben haben. Wenn alle Damen „belegt“ gewesen seien, so habe die Eule damals mit dem Kopf nach unten an der Eisenstange gehangen – andernfalls habe sie, wie im Übrigen auch jetzt, äußerst aufrecht dagesessen. Ob einer der in meinen diesmaligen Prag-Berichten bislang erwähnten Herren jemals auf die Position der Eule hat achten müssen oder wollen, bleibt ungewiss. Vielleicht stoße ich ja bei der Vorbereitung des bald folgenden vierten und letzten Teils noch auf einen Hinweis. Heute eilen meine Frau und ich nur noch zur relativ neu eröffneten Metrostation Národní třída – und siehe da, wer begegnet uns auf deren hinterem Vorplatz? David Černý natürlich – und ein von ihm in Scheiben gelegter Franz Kafka.
Wenn man nicht auf der Hut ist, sitzt er einem geradezu im Nacken und spricht unaufhörlich über nichts anderes als Bücher.
Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? (…) Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Ich bin allerdings recht zuversichtlich, dass Noc s Hamletem / Nacht mit Hamlet, das Langgedicht, an dem der Autor Vladimír Holan während seines Publikationsverbots viele Jahre gearbeitet hat, hält, was es nach einem ersten Anlesen verspricht!
Lieber Wolfgang, man sollte noch ergänzen, daß der Universitätsverlag Winter in Heidelberg an Holans „Gesammelten Werken“ arbeitet – 14 Bände sollen es werden; wenn ich’s richtig sehe, sind 5 schon lieferbar.
Lieber Ulli, hab lieben Dank für die Verstärkung dieses Hinweises – auf der vorherigen, der 2. Station meiner diesmaligen Prag-Berichte habe ich ihn schon gegeben:.. Aber Du hast natürlich recht: nicht alle haben diesen Bericht gelesen! Gute Grüße, Wolfgang
Herrlich ! – einen schönen Sonntag wünsch Dir
Gerhard
Danke! Und ebenfalls: der Sonntag möge schön sein und bleiben! Wolfgang
Ja, bleiben wär super, dann käme der Montag nicht ;-))))
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