Eine Rose für Putin

Ein Roman-Debüt, das es in sich hat…

Matroschka - die russische Schachtelpuppe © Wolfgang Schiffer

Matroschka – die russische Schachtelpuppe © Wolfgang Schiffer

Dies will schnell noch geschrieben sein, bevor der Koffer ins Auto geladen wird und letzteres mich zur Buchmesse in Leipzig bringt – und damit nicht allzu weit entfernt von der Stadt, in der das von Thomas Wendrich (oder vielmehr von Johann Stadt – doch davon später…) erzählte Geschehen seinen Ausgangspunkt hat: Dresden.

Hier nämlich, so besagt es eine Zeitungsmeldung, ist 1985 ein Kleinkind, Rose mit Namen, entführt worden, und das trotz aller gut bewachten Grenzen außer Landes, nach Russland in die UDSSR womöglich – und eine Woche später findet man ein ausgesetztes Baby gleichen Alters, das sich jedoch nicht als das zuvor geraubte entpuppt, sondern ganz offensichtlich aus Russland stammt…

Ein Fall, der nie gelöst wurde und dem damals ermittelnden Kommissar Alvart auch heute noch ein Rätsel ist – ebenso wie zunächst Johann Stadt, einem Schriftsteller, der sich zusammen mit dem großmächtigen Regisseur M. in ein abgeschiedenes Landhaus in der Uckermark eingemietet hat, um in einer Art Schreibklausur auf der Basis dieses historischen Falls ein Drehbuch für einen Film zu erstellen.

Die Arbeit geht gut voran – erst recht, nachdem sich Johann Stadt (adoptiert, aber wieder in Kontakt mit seiner leiblichen Mutter und auf der Suche nach seinem ihm unbekannten Vater) entschieden hat, dem Fall eine fiktive Parallele zu geben, ihn somit ins Heute zu verlegen und hierzu eine perfekt scheinende Bilderbuchfamilie erfindet: Mutter Dagmar, Vater Holger, die Kinder Jonas und Marie sowie den Großvater Professor Friebe.

Als Marie jedoch, gerade einmal 12 Monate alt, in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit, mitten in einem Spieleparadies aus ihrem Kinderwagen heraus verschwindet, entpuppt sich die heile Fassade bald als äußerst brüchig: Holger ist nichts als ein etwas schmieriges Mitglied des Stadtparlaments, sein Vater, dessen Firma sich ehemals mit Atomforschung beschäftigt hat und nun ein Alzheimer-Diagnostik-Verfahren erprobt, hat vermutlich nicht nur von der Position seines Sohnes profitiert – er unterhält ganz offensichtlich nach wie vor auch gute Kontakte zu einem gewissen Herrn namens Putin.

Überhaupt Putin: seinerzeit Leiter des Militärischen Geheimdienstes in Dresden (zu dem auch die Spuren im damaligen Entführungsfall führten und in einer Mauer des Schweigens versiegten), heute der mächtigste Mann Russlands – er und das System, für das er steht, sind hintergründig beinahe allgegenwärtig in diesem Roman. Sogar der Revolver, den er 1989 geschwungen und damit unterbunden hat, dass Demonstranten nach der Eroberung der Stasizentrale auch in das KGB-Gebäude eindrangen, taucht leibhaftig wieder auf – M hat ihn angeblich nächstens einigen Russen abgekauft, die sich beim Landhaus eingefunden haben sollen – eine Nachricht, die einer mit Fortschreiten des Drehbuchs wachsenden Russenparanoia des Autors weitere Nahrung gibt.

Eine Rose für PutinWährend es nun in Maries Familie hadert, man jedoch mit allen Kräften nach dem Verbleib des Mädchens fandet, erfahren wir zugleich von Sveta, einer Weissrussin, die nach schlimmem Schicksal mit ihrem an Leukämie erkrankten Baby Zuflucht gefunden hat in einem Kinderheim bei Minsk. Dieses unterhält gar gute Beziehungen zu einer Einrichtung in Dresden, die seit Jahren Erholungsaufenthalte für weissrussische Kinder organisiert – und während Marie verschwunden bleibt, wird in Dresden (ganz wie im ersten Fall) ein Baby gefunden, das ganz offensichtlich auf russische Laute reagiert und wegen einer Leukämieerkrankung schnellstens in medizinische Behandlung muss…

Alvart, der Kommissar aus früheren Zeiten, ermittelt auch in dem aktuellen Fall, der ebenso wie der alte alle Merkmale eines Kindertausches aufweist. Unablässig ist er diesem Verdacht und damit der Wahrheit auf der Spur, und als er ihr näher und näher kommt, überstürzen sich in der Uckermark die Ereignisse – und das in einer Weise, dass sowohl Johann Stadt als auch wir, die Leser, zunehmend im Unklaren darüber bleiben müssen, was hier von dem, das wie bei einer russischen Matroschka stets aus dem Vorherigen hervorschlüpft, noch Realität ist, was Fiktion, was reale Bedrohung, was krankhafter Wahn …

Zwischen Johann Stadt und uns, den Lesern, gibt es bei dieser unsicheren, alles verzerrenden Wahrnehmung allerdings einen großen Unterschied: ihn bringt sie in die Geschlossene der Psychiatrie, aus der heraus er gerade noch 70 Blätter, die Summe seiner unvollendeten Aufzeichnungen, an den im wirklichen Leben ebenfalls als Drehbuchautor erprobten Schulfreund Thomas Wendrich schicken kann – doch als dieser, dem es (s. Anfang) ein Bedürfnis ist, dieses Vermächtnis herauszugeben, noch einige Nachfragen stellen will, ist Johann Stadt tot.

Sie haben ihn erwischt! – das waren die ängstlichen Worte des Mediziners am Telefon. Er vermutete, Johann sei ein strahlendes Gift verabreicht worden. Von zwei Herren aus Rostow, bei einem Verhör, Polonium, flüsterte er, im Tee! Die Herren hätten sich als Mitarbeiter der russischen Justiz einwandfrei ausgewiesen. Sie interessierten sich für Johann wegen seiner Behauptung, er kenne die Entführer eines deutschen Mädchens namens Rose.

Und wir? Wir können uns nach der Lektüre von Eine Rose für Putin, vor wenigen Tagen im Berlin Verlag erschienen, in unserem Lesesessel noch einmal bequem zurücklehnen und Revue passieren lassen, welch ein intelligent gefügtes, bei aller literarischen Raffinesse und Poesie auch politisch hintergründiges, die DDR, die Wendezeit und das Heute verknüpfendes Erzählmosaik wir hier gelesen haben – einen wirklich großen Wurf!

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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3 Antworten zu Eine Rose für Putin

  1. findevogel2015 schreibt:

    Das klingt interessant und spannend.

    • schifferw schreibt:

      Finde ich auch immer noch! Sogar Daniel Kehlmann sagt laut Cover-Rückseite, es „sei vor allem aber: ein sehr spannender Roman“.

  2. Pingback: Wie liest sich das Debüt von Thomas Wendrich? - Kapri-ziös

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