Meine Reise durch die isländische Poesie
Mehrfach bereits habe ich ihn in meinen „Wortspielen“ mit einem Beispiel aus seinem relativ schmalen Poesie-Schaffen vorgestellt, zuletzt am 18. November letzten Jahres im Zusammenhang mit der Vorstellung des von Joachim Sartorius herausgegebenen Handbuchs der politischen Poesie im 20. Jahrhundert: Niemals eine Atempause.
Diese Vorliebe für Stefán Hörður Grímsson hat es natürlich mit sich gebracht, dass ich mich (in enger Zusammenarbeit mit meinen isländischen Freunden Franz Gíslason und Jón Thor Gíslason) immer wieder auch an Übersetzungen seiner Gedichte versucht habe, zuletzt zusammengefasst veröffentlicht in dem bibliophilen, mit Aquarellen von Bernd Koberling angereicherten Sammelband Geahnter Flügelschlag im Verlag Kleinheinrich in Münster.
Die Originale zu dieser Übersetzungsarbeit waren zumeist späteren Gesamtausgaben des Werkes von Stefán Hörður Grímsson entnommen, was vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass frühe Exemplare oder gar Erstausgaben seiner Lyrikbände nur noch erschwert zu finden oder überhaupt nicht mehr erhältlich sind.
Umso mehr freue ich mich, dank des Reykjavíker Antiquariats Bókin jetzt im Besitz einer solchen Erstausgabe zu sein, ja, der ersten zusammenhängenden Veröffentlichung von Gedichten Stefán Hörður Grímssons überhaupt: Gluggin snýr í norður / Das Fenster öffnet gen Norden.
Erschienen ist das 72 Seiten umfassende Bändchen mit dem von Jóhannes Jóhannesson, einem der später bedeutendsten Vertreter der abstrakten Malerei in Island, gestalteten Umschlag 1946 in Reykjavík im Selbstverlag, gedruckt von der Prentsmiðja Þjóðviljans, der Buchdruckerei des Volkswillen, einer damaligen Zeitung.
Ein Beispiel des hier dokumentierten frühen lyrischen Schaffens des Dichters will ich heute vorstellen. Interessant ist hierbei, dass dieses Gedicht – zweifellos ein Liebesgedicht – in späteren Fassungen den Titel Sól / Sonne trägt, während es in der Erstausgabe Serenade heißt.
Wie auch immer, im Original und einer sich diesem annähernden Übersetzung, die in Zusammenarbeit mit Jón Thor Gíslason entstanden ist, lautet und klingt es wie folgt:
Serenade / Sól
Í vor rann sól mín til viðar,
í vor ég þig kvaddi.
Nú bleiklit blóm
á braut minni liggja.Á ný hefur tómleiki tímans
mig tekið í fang sitt
og þrýst köldum kossi
á kinn mína.En mynd af bjartleitu blómi
við brjóst mitt ég fel.
Hún er angur míns hjarta
og hlátur lífs míns.Serenade / Sonne
Im Frühling ging meine Sonne unter,
im Frühling sagte ich dir leb wohl.
Nun liegen bleichrote Blumen
auf meinem Weg.Aufs Neue hat die Leere der Zeit
mich in ihre Arme genommen
und einen kalten Kuss
auf meine Wange gedrückt.Doch das Bild einer helllichten Blume
hüte ich in meiner Brust.
Sie ist meines Herzens Kummer
und das Lachen meines Lebens.
Wer nun neugierig auf den isländischen Dichter Stefán Hörður Grímsson geworden sein sollte und mehr über ihn erfahren möchte, der mag Bernhild Vögels Rezension zu dem zweisprachigen Sammelband Geahnter Flügelschlag lesen – dort ist manches mehr über seine Poesie und über sein Leben zu erfahren.
Viel zu selten lasse ich mal einen Kommentar hier.
Dieses wunderschöne Gedicht sowie Deine immer wieder begeisterten und begeisternden Worte über die isländische Lyrik im Allgemeinen, und über die hier vorgestellten Lyrik-Bände im Speziellen, wollte ich doch mal mit einem ausdrücklichen „Dankeschön!“ beantworten!
Ich sage „Dankeschön“! Danke!
Ein wunderschönes Gedicht! Sonne und Serenade finde ich als Titel gleichermaßen schön.
Und ich gratuliere ganz herzlich zur Erstausgabe! Diese Freude darüber kann ich sehr sehr gut nachvollziehen.
Mit allerbesten Grüßen,
Marlis
Herzlichen Dank! Und – diese Ausgabe wird wirklich gehütet!
Gute Grüße und nochmals Dank fürs Aufmerken, Wolfgang
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Wie immer berührt mich diese Dichtung direkt, was sicher auch an der vorsichtigen Übertragung ins Deutsch liegt. Es geht so leicht Entscheidendes dabei verloren. Mein Nachsprechen der Originaltexte wäre vielleicht für Isländer nicht verständlich, – ich selbst meine, die Worte zu verstehen.
Danke, lieber Wolfgang.
Schön, dass Du es so liest, liebe Angelika! Danke!
Hier noch nachträglich das kleine „e“, es war verloren gegangen.