Das Büro 2. Schmutzige Hände

Zur Präsentation der Werkausgabe des niederländischen Kult-Autors J.J. Voskuil im Verbrecher Verlag

Die Akteure des Abends v.l.n.r.: Bernt Hahn, J.J. Voskuil, Ulrich Faure, Gerd Busse © Wolfgang Schiffer

Die Akteure des Abends v.l.n.r.: Bernt Hahn, J.J. Voskuil, Ulrich Faure, Gerd Busse © Wolfgang Schiffer

Ob es angesichts des offensichtlich äußerst begrenzten Wortschatzes des Autors überhaupt Literatur sei, so fragten einige missmutige Kritiker, als der siebenteilige Romanzyklus Das Büro in den Jahren 1996 bis 2000 in den Niederlanden erschien – und andere, die ihm diesen Rang nicht absprechen wollten, hielten das mehr als 5000 Seiten umfassende Œuvre zumindest für derart ur-niederländisch, dass man es, selbst wenn man sich fahrlässiger Weise an eine Übersetzung traute, woanders wohl gar nicht verstehen könne.

Nun – die auch dramaturgisch gelungene Vorstellung des zweiten Bandes der Heptalogie am gestrigen Abend im Literaturhaus Köln durch den Übersetzer Gerd Busse und den herausgebenden Lektor Ulrich Faure, unterstützt von dem Schauspieler Bernt Hahn, zerstreute all solche Bedenken über das, was sich der niederländische Autor J.J. Voskuil nach jahrzehntelangem Dienst als wissenschaftlicher Beamter in einem Institut für Volkskunde von der Seele geschrieben hat: Het Bureau.

Das Büro Was J.J. Voskuil alias Maarten Koning zumeist in staubtrockenen Dialogen über die „Sinnlosigkeit“ seiner Arbeit zu erzählen weiß, über ergebnislose Sitzungen, nutzlose Dienstreisen und ebensolche internationalen Kongresse, über eher ziellose Forschungsvorhaben wie das Erstellen eines „Atlas der Volkskultur“ oder die Dokumentation der Varianten des „Umgangs mit der Nachgeburt des Pferdes“, über das (pseudo)wissenschaftliche Geplänkel mit seinen Mitarbeitern und das ebenfalls von aberwitziger Logik geprägte mit seiner Ehefrau usw., das hat in den Niederlanden eine anhaltende Woge der Begeisterung ausgelöst.
Nach Erscheinen eines jeden neuen Bandes, so weiß sein Übersetzer Gerd Busse zu berichten, der mit dem 2008 gestorbenen Autor über viele Jahre auch persönlich bekannt war, bildeten sich Schlangen von Käufern vor den Buchläden, Episoden der Dialogpartien wurden zu szenischen Aufführungen, die an Karl Valentin oder Loriot denken lassen, das real existierende Gebäude des Instituts zu einer Wallfahrtsstätte für Büro-Fanclubs – und seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, denen er seine Charaktere nach-geschrieben hat, nahmen ihm die oftmaligen Demaskierungen nicht etwa übel, sondern traten begeistert in diversen Talkshows zum Thema der Romane auf.

In deutscher Übersetzung veröffentlichte der Verlag C.H. Beck 2012 den ersten Band Das Büro. Direktor Beerta. Ich kenne die Gründe nicht, die dazu führten, dass die Herausgabe der sechs folgenden Bände trotz bester Kritiken (z. B. „Woody Allen trifft auf Franz Kafka“, Markus Kratzer/ORF; „Das Büro ist real existierendes, absurdes Wichtelmännchen-Theater, ungeschminkt, trocken und urkomisch“, Peter Urban-Halle/Neue Zürcher Zeitung; „Der Roman entfaltet einen Sog, der einen mitnimmt und tröstet… Das Büro ist aber mehr als ein Trost-, es ist ein Weltroman“, Elmar Krekeler/Die Welt) vom Verlag nicht weiter verfolgt wurde – umso verdienstvoller ist nun der Editionsplan des Verbrecherverlags, der uns sukzessive das gesamte Werk (einschließlich einer Neuausgabe von Band 1) wird kennen lernen lassen. Die Publikation des letzten Bandes Das Büro 7. Der Tod des Maarten Koning ist im Frühjahr 2017 vorgesehen.

Die sieben Bände von "Das Büro" im Original © Wolfgang Schiffer

Die sieben Bände von „Das Büro“ im Original © Wolfgang Schiffer

Ein vergleichbarer Sog wie in den Niederlanden dürfte sich hierzulande wohl nicht einstellen – dazu, das kann man an den derzeit veröffentlichten bereits erkennen, enthalten die Romane doch so manche Spezifika (und das spricht f ü r sie), die dem Kulturraum ihres Entstehungslandes zu eigen sind – eine große Leserschaft ist ihnen jedoch in jedem Fall zu wünschen.

Nicht nur erhält man durch sie ein faszinierendes Sittenporträt unseres Nachbarlandes in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts – die Universalität ihres „Gegenstands“ lässt uns stets auch auf Ursachen und Hintergründe so manchen Wissenschaftsgehabes und in den eigenen Spiegel schauen.

Und das Vergnügen, das sich angesichts des überbordenden, oftmals bitterbösen Sprachwitzes, der Situationskomik und der trefflichen Charakterisierungen ihres auch internationalen Personals beim Lesen einstellt, lohnt obendrauf jede Lektüre.

Ein kurzes Beispiel: Direktor Beerta und Maarten Koning müssen hochgestellte Vertreter des flämischen Belgiens zum Essen im ein Restaurant einladen:.

„Mir scheint es ein gutes Restaurant zu sein“, sagte Pieters. „Ein großes Lob für Herrn Koning.
„Zweifellos“, sagte Beerta, „aber wenn ich meinem Wesen gefolgt wäre, hätte ich mich auf einen Teller mit Brötchen und ein Glas Milch beschränkt. Ich bin ein sparsamer Mensch.“
„Das ist Ihr kalvinistischer Hintergrund“, meinte Pieters. „Wir Flamen denken nüchterner darüber. Man lebt nur einmal.“
„Das ist richtig“, gab Beerta zu.
„Aber auf uns macht es doch manchmal den Eindruck, als ob das Leben für Sie eine Strafe sei.“
„Wir Seeländer hängen uns gern auf“, bestätigte Beerta.

Ich freue mich schon aufs Frühjahr 2015: dann erscheint Das Büro 3. Plankton.

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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10 Antworten zu Das Büro 2. Schmutzige Hände

  1. gsohn schreibt:

    Hat dies auf Ich sag mal rebloggt und kommentierte:

    Der erste Band hat mich schon mächtig begeistert.

  2. mickzwo schreibt:

    Da werde ich nach suchen.

  3. zeilentiger schreibt:

    Das klingt eigen und interessant. Und ein wunderbares Zitat am Ende. Beim letzten Satz musste ich laut auflachen.

    Herzliche Grüße, Holger

  4. Angelika Schramm schreibt:

    Vielen Dank! Es liest sich so verlockend, dass man noch mehr lesen möchte. Die Niederländer haben einen sehr klaren, selbstironischen und humorvollen Blick auf sich und ihre Nation, den ich sehr mag.

  5. Pingback: Woody Allen trifft auf Frank Kafka: Wichtelmännchen-Theater im Büro-Leben – Koning-Lesung mit Wolfgang Schiffer auf der #NEO15 | #NEO15 Matchen, Moderieren, Managen

  6. textstaub schreibt:

    Hat dies auf zwischen wasser & wolken rebloggt.

  7. Pingback: Nederlandstalig! J.J.Voskuil – Das Büro. Direktor Beerta | 1001 Bücher - das Experiment

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