Zur Präsentation der Werkausgabe des niederländischen Kult-Autors J.J. Voskuil im Verbrecher Verlag

Die Akteure des Abends v.l.n.r.: Bernt Hahn, J.J. Voskuil, Ulrich Faure, Gerd Busse © Wolfgang Schiffer
Nun – die auch dramaturgisch gelungene Vorstellung des zweiten Bandes der Heptalogie am gestrigen Abend im Literaturhaus Köln durch den Übersetzer Gerd Busse und den herausgebenden Lektor Ulrich Faure, unterstützt von dem Schauspieler Bernt Hahn, zerstreute all solche Bedenken über das, was sich der niederländische Autor J.J. Voskuil nach jahrzehntelangem Dienst als wissenschaftlicher Beamter in einem Institut für Volkskunde von der Seele geschrieben hat: Het Bureau.
Was J.J. Voskuil alias Maarten Koning zumeist in staubtrockenen Dialogen über die „Sinnlosigkeit“ seiner Arbeit zu erzählen weiß, über ergebnislose Sitzungen, nutzlose Dienstreisen und ebensolche internationalen Kongresse, über eher ziellose Forschungsvorhaben wie das Erstellen eines „Atlas der Volkskultur“ oder die Dokumentation der Varianten des „Umgangs mit der Nachgeburt des Pferdes“, über das (pseudo)wissenschaftliche Geplänkel mit seinen Mitarbeitern und das ebenfalls von aberwitziger Logik geprägte mit seiner Ehefrau usw., das hat in den Niederlanden eine anhaltende Woge der Begeisterung ausgelöst.
Nach Erscheinen eines jeden neuen Bandes, so weiß sein Übersetzer Gerd Busse zu berichten, der mit dem 2008 gestorbenen Autor über viele Jahre auch persönlich bekannt war, bildeten sich Schlangen von Käufern vor den Buchläden, Episoden der Dialogpartien wurden zu szenischen Aufführungen, die an Karl Valentin oder Loriot denken lassen, das real existierende Gebäude des Instituts zu einer Wallfahrtsstätte für Büro-Fanclubs – und seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, denen er seine Charaktere nach-geschrieben hat, nahmen ihm die oftmaligen Demaskierungen nicht etwa übel, sondern traten begeistert in diversen Talkshows zum Thema der Romane auf.
In deutscher Übersetzung veröffentlichte der Verlag C.H. Beck 2012 den ersten Band Das Büro. Direktor Beerta. Ich kenne die Gründe nicht, die dazu führten, dass die Herausgabe der sechs folgenden Bände trotz bester Kritiken (z. B. „Woody Allen trifft auf Franz Kafka“, Markus Kratzer/ORF; „Das Büro ist real existierendes, absurdes Wichtelmännchen-Theater, ungeschminkt, trocken und urkomisch“, Peter Urban-Halle/Neue Zürcher Zeitung; „Der Roman entfaltet einen Sog, der einen mitnimmt und tröstet… Das Büro ist aber mehr als ein Trost-, es ist ein Weltroman“, Elmar Krekeler/Die Welt) vom Verlag nicht weiter verfolgt wurde – umso verdienstvoller ist nun der Editionsplan des Verbrecherverlags, der uns sukzessive das gesamte Werk (einschließlich einer Neuausgabe von Band 1) wird kennen lernen lassen. Die Publikation des letzten Bandes Das Büro 7. Der Tod des Maarten Koning ist im Frühjahr 2017 vorgesehen.
Nicht nur erhält man durch sie ein faszinierendes Sittenporträt unseres Nachbarlandes in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts – die Universalität ihres „Gegenstands“ lässt uns stets auch auf Ursachen und Hintergründe so manchen Wissenschaftsgehabes und in den eigenen Spiegel schauen.
Und das Vergnügen, das sich angesichts des überbordenden, oftmals bitterbösen Sprachwitzes, der Situationskomik und der trefflichen Charakterisierungen ihres auch internationalen Personals beim Lesen einstellt, lohnt obendrauf jede Lektüre.
Ein kurzes Beispiel: Direktor Beerta und Maarten Koning müssen hochgestellte Vertreter des flämischen Belgiens zum Essen im ein Restaurant einladen:.
„Mir scheint es ein gutes Restaurant zu sein“, sagte Pieters. „Ein großes Lob für Herrn Koning.
„Zweifellos“, sagte Beerta, „aber wenn ich meinem Wesen gefolgt wäre, hätte ich mich auf einen Teller mit Brötchen und ein Glas Milch beschränkt. Ich bin ein sparsamer Mensch.“
„Das ist Ihr kalvinistischer Hintergrund“, meinte Pieters. „Wir Flamen denken nüchterner darüber. Man lebt nur einmal.“
„Das ist richtig“, gab Beerta zu.
„Aber auf uns macht es doch manchmal den Eindruck, als ob das Leben für Sie eine Strafe sei.“
„Wir Seeländer hängen uns gern auf“, bestätigte Beerta.
Ich freue mich schon aufs Frühjahr 2015: dann erscheint Das Büro 3. Plankton.
Hat dies auf Ich sag mal rebloggt und kommentierte:
Der erste Band hat mich schon mächtig begeistert.
Da werde ich nach suchen.
Danke! Sollte nicht schwer zu finden sein: der Verbrecher Verlag ist trotz seines Namens schließlich ein bekannter unabhängiger Verlag, in diesem Jahr sogar mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet:
https://wolfgangschiffer.wordpress.com/2013/12/11/ausgezeichnet-verbrecher-verlag-wird-mit-kurt-wolff-preis-2014-geehrt/
Gute Grüße, Wolfgang
Das klingt eigen und interessant. Und ein wunderbares Zitat am Ende. Beim letzten Satz musste ich laut auflachen.
Herzliche Grüße, Holger
Dank und liebe Grüße zurück, Wolfgang
Vielen Dank! Es liest sich so verlockend, dass man noch mehr lesen möchte. Die Niederländer haben einen sehr klaren, selbstironischen und humorvollen Blick auf sich und ihre Nation, den ich sehr mag.
Danke für diese Einschätzung! Ich teile sie…
Pingback: Woody Allen trifft auf Frank Kafka: Wichtelmännchen-Theater im Büro-Leben – Koning-Lesung mit Wolfgang Schiffer auf der #NEO15 | #NEO15 Matchen, Moderieren, Managen
Hat dies auf zwischen wasser & wolken rebloggt.
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