Literarische Stimmen des Landes Nordrhein-Westfalen
Nicht alle kulturelle Institutionen, die auf Anregung einer Landesregierung ins Leben gerufen wurden, sind derart bekannt für ihr partnerschaftliches Engagement für herausragende Projekte und Experimente in Bildender Kunst, Musik, Theater, Tanz – und nicht zuletzt auch in der Literatur – wie die Kunststiftung NRW.Auf ihre besondere Förderung des literarischen Übersetzens hierbei habe ich in meinem Beitrag Literaturdialoge bereits hinweisen können – jetzt, aus Anlass ihres 25jährigen Bestehens, hat sie einmal mehr die Literatur in den Mittelpunkt ihrer zahlreichen Jubiläumsaktivitäten gestellt.
Frisch erschienen im Lilienfeld Verlag sind mit ihrer Unterstützung gleich zwei Anthologien, die zeitgenössischen, dem Land Nordrhein-Westfalen durch Geburt, Wohnort usw. verbundenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern eine Stimme geben und sie so verstärkt in das kulturelle Bewusstsein der Öffentlichkeit heben.
Da ist zunächst die Anthologie Eigentlich Heimat. Herausgegeben von Bettina Fischer, seit 2012 Leiterin des Literaturhauses Köln, und Dagmar Fretter, in der Kunststiftung NRW u. a. zuständig für den Bereich Literatur, versammelt dieser Band literarische Texte verschiedenster Machart von 29 Autorinnen und Autoren, zu annähernd 100 Prozent exklusiv geschrieben für dieses Buch. Sie kommen aus vielen der auch sehr unterschiedlichen Regionen dieses Bindestrich-Bundeslandes – von Bad Münstereifel über Bonn, Duisburg, Köln, Münster, Ostwestfalen, Viersen usw. bis hin zu Wuppertal – beschreiben Geschichten, die es von diesen Orten zu erzählen gibt. Fragen wie Was verbinden Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit dem Begriff „Heimat?“ – Hat er überhaupt noch eine Bedeutung für Sie? und ähnliche stellen sich zwar, aber sie werden keinesfalls theoretisierend abgehandelt – sie schimmern allenfalls durch in dem literarischen Aufscheinen der Landschaften, Orte und Plätze und der Begebenheiten, die sich in die Erinnerung der einzelnen Autoren dieses Projekts eingeschrieben, sie vielleicht sogar geprägt haben.
So dreht Rainer Merkel im Kölner Stadtwald seine Runden und webt das Attentat auf Martin Schleyer ein in seinen dabei entstehenden Bewusstseinsstrom, Navid Kermani nähert sich seinem Geburtsort Siegen, Frank Goosen aus Bochum erzählt uns vom Schönen Mädchen auf dem Wertstoffhof, Norbert Scheuer einmal mehr von der Eifel und Esther Kinsky über eine Kiesgrube in Römlinghoven und damit ein Stück Geschichte der frühen Bundesrepublik.
Den Beispielen müssten 24 weitere hinzugefügt werden, um die so entstehende Landkarte Nordrhein-Westfalens, eine Landkarte der deutlich anderen Art, und das weite Spektrum ihrer Urheber zu komplettieren. Doch dazu ist hier nicht der Platz – da hilft nur das eigene Lesen, das ich gerne empfehle. Zusammen genommen erstarren die Erzählungen, Berichte und Prosa-Miniaturen nämlich nicht etwa in regionaler Begrenztheit, sondern leuchten weit hinein in die Welt der Literatur, feiern mit Eigentlich Heimat diese ebenso wie auf diesem Weg das Jubiläum der Kunststiftung NRW, die sie möglich gemacht hat.
Vergleichbares gilt für die aus diesem Anlass erschienene zweite Anthologie, die ich hier kurz vorstellen möchte: stadtlandfluss – im Untertitel 111 Dichterinnen und Dichter aus Nordrhein-Westfalen genannt.
Herausgegeben haben diese Lyrikanthologie der Literaturchef des Deutschlandfunks Hajo Steinert und der Lyriker Jürgen Nendza. Sie versammelt jeweils drei Gedichte der genannten Anzahl von Autorinnen und Autoren, die sich mit mindestens einer Publikation eines Gedichtbands nach 1989, dem Gründungsjahr der Kunststiftung NRW, bereits als Urheber im Genre der Dichtkunst ausgewiesen haben.
Wie trotz solcher formaler Kriterien auch noch eine herausgehobene Qualität einer Anthologie zu garantieren ist, davon berichten die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort, das einen guten Einblick in die „Werkstatt“ der Zusammenstellung liefert.
Das Nachwort zu dem Band, der bekannte, bekanntere und eher unbekannte Autorinnen und Autoren versammelt – von Khalid Al-Maaly, über Jürgen Becker, Hans Bender, Hilde Domin, Rolf Haufs, Guy Helminger bis hin zu Dieter Wellershoff, Michael Zeller und Joachim Zünder (und auch ich bin darin vertreten) – hat Ulla Hahn geschrieben. In ihm geht sie u. a. der Frage nach, ob es so etwas wie einen NRW-Sound in Gedichten gibt…
Nun, ich will die Antwort, die sie in ihrem schönen, die Dichtkunst preisenden Nachwort gibt, nicht vorwegnehmen – vielleicht erahnen Sie als Leserinnen und Leser diese ja bereits auch, wenn ich nur die letzten Sätze von Ulla Hahns abschließender Anmerkung zitiere:
Der Leser dieser Gedichte lernt nicht nur Städte, Landschaften, Menschen, Autoren dieses Bundeslandes kennen. Er erhält zugleich einen Überblick über Ausdrucksformen des modernen Gedichts. Und so reichen die hier versammelten Gedichte weit über NRW hinaus, in den gesamten deutschen Sprachraum hinein. Und, da nichts veraltet in der Kunst, auch hinein in die Zukunft und die Lust am Gedicht.
In diesem Sinne: Ich bin überzeugt, man wird keine Mühe haben, neben Eigentlich Heimat auch die Lyrikanthologie stadtlandfluss zu mögen!
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