Der Weidle Verlag komplettiert die Roman-Tetralogie des Isländers Pétur Gunnarsson
Nun, zunächst jedoch geschieht anderes: Andri, inzwischen mit Bylgja fest liiert, taucht Anfang der 70er Jahre in der legendären Freistadt Christiana in Kopenhagen auf. Die revolutionäre Veränderung des eigenen Ichs und der Gesellschaft ist angesagt – der eine setzt dabei auf Drogen, ein anderer auf Kampf unter roten Fahnen, und wieder ein anderer, sein Kindheitsfreund Doddi z. B., auf Eskapismus in Esoterik und Religion. Andri und Bylgja jedoch begeben sich bald auf Reisen, durchstreifen per Anhalter die südlichen Länder Europas, erfahren die dort teils herrschende Militärdiktatur, genießen jedoch vor allem das Zeltleben, die Musik und das Lesen – bis Bylgja schwanger wird und die beiden vor der Entscheidung stehen, ob sie ihr Leben weiterhin mit oder ohne Kind gestalten wollen…
Ich will der Entscheidung, die sie treffen hier nicht vorgreifen – nur so viel sei gesagt: sie führt sie nach Hause zurück zu Andris Mutter, Schwester, deren Ehemann und Kinder, die uns aus den vorhergegangenen Büchern allesamt bereits vertraut sind, – und Andri bald in ein abenteuerliches Dasein als Lehrer in der isländischen Provinz. Und dann heißt es plötzlich auf Seite 75 des Romans: Ende der Geschichte.
Was so aber nicht stimmt! Auf 82 folgenden Seiten stellt uns Pétur Gunnarsson einen weiteren Andri Haraldsson vor, Gatte, Hausmann, Vater, einen, der sich sorgt, schon viel zu viel aus seinem bisherigen Leben (und womöglich einem zukünftigen, denn der Autor schleust uns in eine Zeitmaschine, die von Andris und seinem (!) Geburtsjahr 1947 bis in das Jahr 2032 reicht…) vergessen zu haben.
Wenn ich die Ereignisse nicht Tag für Tag aufschreibe, ist es als hätte ich sie nie erlebt. Als wären die Hirnbänder voll und das Jetzt würde über das, was war, gespielt. So reißt das Vergessen mein Leben an sich, ohne dass ich mich zur Wehr setzen könnte. Aber anstatt dem nachzutrauern, was verloren ist, versuche ich all jenes festzuhalten, das noch da ist. Mich mit dem Stift durch die Vergangenheit zu tasten und erinnernswerte Geschehnisse niederzuschreiben, sobald sie sich ereignet haben.
Und an späterer Stelle heißt es:
Die Schreibmaschine surrt, das Alphabet glänzt. Die Finger juckt es, Buchstaben zu jagen und sie in Worte zu sperren. (…) Ein Wort wie „Welt“ abzutippen und das Gefühl zu haben, es pulsiere vor Leben. Wie Bakterien in einem toten Stück Fleisch? Nein, wie die Luft über einem ganzen Symphonieorchester. Die Welt.
Am Ende entschließt sich dieser Andri, den Roman punkt punkt komma strich zu schreiben, den wir ebenso wie die beiden folgenden nicht lesen müssen, um Das vierte Buch über Andri in vollen Zügen genießen zu können. Empfehlen tut es sich dennoch, denn wie es dem Anspruch des hier am Ende vorgestellten Andri entspricht, sind sie alle gesättigt von Welt, die in leser-beglückender Weise vor Leben pulsiert!
Und schön anzuschauen sind sie auch! Nicht umsonst wurde Friedrich Forssman bereits für die beiden ersten der von ihm gestalteten Bände von der Stiftung Buchkunst im „Wettbewerb um die schönsten deutschen Bücher“ mit einer Auszeichnung bedacht!
Aber ist nun dieser „letzte“ Andri der Autor selbst und beendet damit endgültig meine Spekulation über den autobiographischen Hintergrund der Tetralogie insgesamt? Die Antwort ist ein eindeutiges Jein!
Das liest sich sehr unterhaltsam. Mal sehen. Vielleicht, wenn ich Zeit habe, ein Anfang der Geschichte für mich mit Andri. Kommt auf jeden Fall auf einen Merkzettel.
Danke! Das freut mich!
Grossartiges Coverdesign à la Weidle!
Ja – wie so oft bei Büchern dieses Verlags!
Ich habe bald Geburtstag und mich bislang noch nicht auf einen Bücherwunsch festlegen können. Danke, Wolfgang, jetzt weiß ich, was ich mir (nicht von Dir natürlich…) wünsche.
Das freut mich, liebe Angelika! Hoffentlich gefallen die Bücher auch Dir! Gute Grüße, Wolfgang
Für mich wird es ein „Abenteuer Island“… Ich werde darüber berichten, wenn Interesse besteht.
Oh – natürlich gerne!
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