Verborgene Chronik 1914

Nahaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg

1. Weltkrieg
Ich meine mich zu erinnern, in der letzten „Wortspiel Radio“-Sendung, bei Interesse nachzuhören in meinem Beitrag „Mit dieser Welt muss aufgeräumt werden“, auf das baldige Erscheinen der Publikation Verborgene Chronik 1914 bereits hingewiesen zu haben – jetzt liegt sie vor – als Buch im Galiani Verlag aus Berlin und als Hörbuch in derHörverlag aus München.

Das Material und das editorische Konzept dieser Sammlung von Stimmen „normaler“ Menschen, die den Kriegsauftakt und dessen erste Monate erlebten, lässt sich kaum besser darstellen, als es die Herausgeber Lisbeth Exner und Herbert Kapfer im Vorwort zur Buchausgabe erklären.

In diesem Buch kommen nur unveröffentlichte Tagebücher zu Wort. Es beginnt am 27. Juli 1914, einen Tag vor der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, es endet mit dem ersten Tag des zweiten Kriegsjahrs, am 1. Januar 1915. Es berichtet von den spontanen und inszenierten Kundgebungen und Truppenverabschiedungen an Bahnhöfen, von den seit der Mobilmachung einsetzenden Veränderungen des gesellschaftlichen und alltäglichen Lebens und den wechselvollen, zwischen Nationalstolz, Angst und Trauer hin- und hergerissenen Stimmungen in der Heimat, von ersten militärischen Erfolgen und Niederlagen im Sommer bis zum Beginn des Stellungskrieges, wie er bereits ab November 1914 vor allem die Westfront für Jahre beherrschen sollte. Es erzählt, wie aus der Sicht Einzelner Geschehnisse erlebt wurden, die heute Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts sind – chronologisch, Tag für Tag, mit ständig wechselnden Schauplätzen und Perspektiven.

Verborgene Chronik 1914 Den positiven Wertungen, welche die Verborgene Chronik 1914 bislang erfuhr, kann ich mich nur anschließen. Da heißt es zum Beispiel in der FAZ: Eine unheimliche Lektüre, weil sie den Leser auf sehr direkte Weise zum Zeitgenossen des beginnenden Weltuntergangs macht, und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung schrieb u. a.: Da denkt man schnell, es sei schon alles gesagt, gewusst. Aber diese Neuveröffentlichung (…) fügt der ganzen Weltkriegs-Welle noch eine vollkommen neue Note hinzu. (…) In der Vielzahl der Stimmen wächst die Authentizität des Gesamtbildes. Es zeugt nicht von der geschichtlichen Wirklichkeit, sondern von ihrer Wahrnehmung, samt all den Irrtümern und Fehleinschätzungen, die im Chor dieser Stimmen nicht widerlegt werden.

Zur Verfügung gestellt wurden den Herausgebern die zahlreichen Dokumente vom Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen – was diese in ihrer Auswahl daraus gemacht haben, ist ein eindrucksvolles Zeugnis kollektiver Erinnerung und einer Geschichtsschreibung „von unten“.

Während ich die Buchpublikation – zugegebenermaßen – bislang nur ausschnittweise gelesen habe, habe ich die sechs CDs, in denen das Hörbuch die Auswahl zu knapp acht Stunden collagierend verdichtet, in Gänze gehört – und dies mit nur einer kurzen Unterbrechung.

Ich konnte mich dem Sog der Interpretation dieser Stimmen aus dem Ersten Weltkrieg durch Meike Droste und Wolfgang Condrus in der Regie des verdienten Hörspielexperten Ulrich Gerhardt kaum entziehen. Es war ein wenig so, als hörte ich den Menschen an der Front, den Soldaten und Offizieren, aber auch den Daheimgebliebenen, den Müttern und Vätern usw. zu beim Schreiben ihrer privatesten Ansichten, der Hochgefühle und Zweifel, der teils anfänglichen Euphorie und der bald einsetzenden, von Schrecken und Angst bestimmten Desillusionierung.

Ich habe keinen Zweifel, dass dieses Hörbuch auf der nächsten Nominierungsliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik in der Kategorie „Hörbuch“ seinen Platz finden wird.

Verborgene Chronik 1914 Hörbuch

Wer nun dennoch den Gang in die Buchhandlung scheut, dem bietet der Galiani Verlag ab heute einen besonderen Service: auf den Tag genau 100 Jahre nach dem ersten Eintrag in der Verborgenen Chronik 1914 stellt er, beginnend mit dem vollständigen Vorwort, täglich einen Eintrag aus dem Buch auf seiner Webseite vor.
Vielleicht entscheidet sich der eine oder andere nach ersten Lektüre-Eindrücken ja doch noch in Gänze für dieses wichtige Werk!

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Über Wolfgang Schiffer

Literatur (und alles, was ihr nahe ist) ist m. E. eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel. Also zehre ich von ihr und versuche, sie zugleich zu nähren: als Autor, als Übersetzer, als Vermittler und nicht zuletzt als Hörer und Leser.
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