Island schickt ein neues Ermittlerteam ins Rennen um gute Kriminalliteratur…
Die meisten ihrer Kriminalromane sind ebenfalls in deutscher Übersetzung erschienen, so dass auch der des Isländischen unkundige Krimi-Fan konstatieren kann: von wenigen punktuellen „Ausrutschern“ abgesehen, sind sie – mit ihren Plots thematisch eingebettet in früherem oder heutigem isländischem Gesellschaftsgefüge – zumeist von guter bis sehr guter Qualität. Überraschend ist dabei nicht zuletzt die Variationsbreite, in der sie selbst schwerstkriminelle Geschehen und deren Aufklärung ausbreiten. In der isländischen Wirklichkeit gibt es hierfür nämlich nur begrenzt reale Folien, die man „kopieren“ könnte – der Inselstaat hat schließlich eine der niedrigsten Kriminalitätsraten der Welt. Als Beispiel hierfür möge genügen, dass erst Ende 2013 zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein Mensch von der Polizei erschossen wurde.
Der fiktiven Verbrechensszene Islands ist mit Sólveig Pálsdóttir nun eine weitere Autorin zugewachsen und mit ihr auch ein neues Ermittlerteam. In ihrem ersten, hierzulande in der Übersetzung von Gisa Marehn vor wenigen Wochen als Aufbau-Taschenbuch publizierten Kriminalroman Eiskaltes Gift setzt die 1959 geborene Literaturwissenschaftlerin und (den Beruf auch ausübende) Schauspielerin Guðgeir Fransson, den hoch gewachsenen, etwas steif-akkuraten Leiter der Mordkommission, und sein Team an die Aufklärung eines Aufsehen erregenden Todesfalls.
Lárus Þórarinsson, ein älterer, von allen höchst geschätzter Schauspieler und Star eines neuen Projekts von Odin Films, das in einem abgelegenen Dorf realisiert wird, bricht mitten in der Aufnahme des letzten Takes tot zusammen. Die ersten Ermittlungsergebnisse legen den Verdacht nahe, dass es kein natürlicher Tod war, der ihn ereilt hat; vermutlich ist er vergiftet worden. Doch eine genaue Untersuchung der Gegenstände, mit deren Hilfe ihm das Gift zugeführt worden sein könnte, vor allem die Utensilien der Maskenbildnerin Brynja, Tochter einer Schauspielkollegin, und die Tasse eines fein gearbeiteten Porzellanservice, aus der Lárus während der Szene hatte trinken müssen, ist schwierig: sie kann nur im Ausland erfolgen – und das braucht seine Zeit.
Guðgeir, seine Mitarbeiterinnen Guðrún und die überaus korrekte Særós sowie der stämmige, stets in einem grünen Blouson gekleidete Andrés sind daher umso mehr gezwungen, zunächst die übliche Routinearbeit zu leisten: das private Umfeld des Schauspielers muss geklärt, alle an der Produktion Beteiligten, vom Statisten bis zum Regisseur, müssen verhört werden, ebenso die Bewohner des Dorfs, und so weiter…
In den Fokus gerät hierbei vor allem Alda, die taffe und aufreizend schöne Requisiteurin, die für die passgenaue Ausstattung des Drehorts zuständig war. Woher stammt das Porzellanservice, so will man von ihr erfahren, und mehr noch, woher kommt die kunstvoll gestickte Tischdecke darunter, die sogar mit einem Datum versehen ist, das – so stellt sich bald heraus – in Tag und Monat nicht nur mit dem letzten Drehtag überein stimmt, sondern auch mit dem Tag von Lárus´ erster Eheschließung.
Damals hatte Lárus die unscheinbare Erna geheiratet, war mit ihr und deren junger Schwester Ingileif nach England gegangen – die Ehe war jedoch geschieden worden, und Lárus als gefeierter Schauspieler nach Island zurückgekehrt.
Ernas Rückkehr hingegen liegt noch gar nicht so lange zurück. Sie hatte sich in Schottland wiederverheiratet und wohnt erst seit dem Tod ihres zweiten Ehemanns wieder in Reykjavík – in einer kleinen, doch eigenen Wohnung. Der mit ihr zurückgekehrten Schwester hingegen, die bereits in Schottland psychisch schwer erkrankt war und der entsprechenden Betreuung in einem Heim bedurfte, erfährt hier dasselbe Schicksal: sie ist und bleibt – wodurch auch immer ausgelöst – eine unheilbar traumatisierte Frau.
Verbindungen zu diesem Schicksal lassen sich in Lárus´ Lebensgeschichte jedoch nicht finden – jedenfalls so lange nicht, bis aufgrund eindeutiger Fotos auf seiner Festplatte davon ausgegangen werden muss, das er einem Ring von Kinderpornographen angehört haben könnte. Der Verdacht bestätigt sich – und als bald darauf Erna, seine ehemalige Frau, übersät mit offensichtlich selbst zugefügten Schnittwunden, tot in ihrer Wohnung aufgefunden wird, weist alles auf sie als seine Mörderin hin.
Doch auch wenn gleich einem Geständnis vor der Toten mit Blut das Wort „Verzeih“ auf dem Dielenboden geschrieben steht – der Fall ist damit trotzdem noch lange nicht gelöst. Er klärt sich erst viele spannungsgeladene Seiten später in einem furiosen Showdown, das die Tod bringenden Fäden der familiären Verstrickungen in Vergangenheit und Gegenwart schließlich zu einem letzte Ungewissheiten aufhebenden Muster verwebt.
Sólveig Pálsdóttir ist mit Eiskaltes Gift ein perfektes Debüt gelungen. Ihren zeitgemäßen, im Genre der Kriminalliteratur überzeugenden Plot gestaltet sie bis in die „Nebenrollen“ hinein mit interessanten, psychologisch glaubwürdigen Charakteren; zugleich gelingt es ihr dabei, unaufdringlich, doch äußerst präzise ein Bild des isländischen Alltags nach der Staats- und Wirtschaftskrise 2008 zu zeichnen.
Kaum hat man das Buch nach Lektüre beiseite gelegt, möchte man mehr von dieser Autorin lesen, ihrem Ermittlerteam um den sympathischen Familienvater Guðgeir weiter folgen – ein Wunsch, der sich bald erfüllen lässt. Dem im Original unter dem Titel Leikarinn / Der Schauspieler 2012 erschienenen Roman, hat die Autorin in Island nämlich bereits einen zweiten Krimi folgen lassen: Hinir Réttlátu / Die Gerechten. Mitte Januar des nächsten Jahres erscheint er im Aufbau Verlag unter dem Titel Tote Wale.
Ich freue mich darauf!
Hat dies auf Allerlei Kunterbunt… rebloggt und kommentierte:
Buchvorstellung… Island-Krimi…
Herzlichen Dank für´s Weiterreichen! Gute Grüße, Wolfgang Schiffer
Danke für die Grüße. Ich wünsche ein schönes Wochenende.
LG
Gabriele
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