Meine Reise durch die isländische Poesie
Vor wenigen Tagen erhielt der isländische Schriftsteller Sigurjón Birgir Sigurðsson, besser bekannt unter dem Namen Sjón, für seinen aktuellen Roman Mánasteinn: Drengurinn sem aldrei var til / Mondstein: Der Junge, den es nie gab den Isländischen Literaturpreis in der Kategorie Belletristik verliehen.Die „Wortspiele“ gratulieren ihm herzlich zu dieser Auszeichnung und nehmen sie gerne zum Anlass, dem so Gepriesenen heute ein „Rauchzeichen“ aus seiner eigenen lyrischen Feder zu widmen.
Sjón, der mit gerade einmal fünfzehn Jahren 1978 seinen ersten Lyrikband veröffentlichte und wenig später mit Gleichgesinnten die dem Surrealismus verpflichtete Gruppe Medusa gründete, ist vielen von uns als Autor natürlich kein Unbekannter. Manche seiner Gedichte, die er nach seinem Debüt in erstaunlicher Frequenz publizierte, erschienen in Übersetzungen – durchaus auch in einigen von Franz Gíslason und mir – u. a. zunächst in verschiedenen Ausgaben der Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik die horen – seinen literarischen Durchbruch hierzulande gelang ihm dann mit dem Roman Skugga-Baldur (ausgezeichnet mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates), einem romantischen Prosa-Kleinod, das in der vorzüglichen Übersetzung von Betty Wahl 2007 unter dem Titel Schattenfuchs im S. Fischer Verlag erschien. Hier folgte ihm 2011 der ebenfalls von Betty Wahl übersetzte Roman Rökkurbýsnir, der unter dem deutschen Titel Das Gleißen der Nacht ebenfalls viel Aufmerksamkeit und Zustimmung erfuhr.
Gute Kritiken, doch leider etwas weniger Aufmerksamkeit wurde allerdings einer bereits vor den beiden Romanen übersetzten und veröffentlichten Gedichtsammlung Sjóns zuteil. 2006 war es einmal mehr der Buchkunstverlag Kleinheinrich, welcher der Übersetzerin Tina Flecken den Auftrag gab, eine Auswahl aus dem poetischen Werk des Autors – der, das sei hier nicht verschwiegen, auch zahlreiche Lyrics für die weltbekannte isländische Sängerin Björk geschrieben hat und heute Präsident des Isländischen PEN ist – ins Deutsche zu übertragen. Erschienen ist dieses erneut mit Aquarellen von Bernd Koberling komplettierte Buch mit dem schlichten Cover-Titel Sjón / Bernd Koberling als Band 9 der von Gert Kreutzer herausgegebenen Verlagsreihe Isländische Literatur der Moderne, die, wie in den „Wortspielen“ teils bereits vorgestellt, die hiesige Leserschaft auch mit Gedichten von Stefán Hörður Grímsson, Snorri Hjartarson, Baldur Óskarsson, Gyrðir Elíasson, Linda Vilhjálmsdóttir und einigen anderen (z. B. Steinunn Sigurðardóttir, von der hier bald noch zu reden sein wird…) bekannt macht.
Das heutige Gedicht ist diesem Band, der den Untertitel söngur steinasafnarans / gesang des steinesammlers trägt, entnommen – es ist das erste Gedicht dieser Sammlung.
sjálfsmynd
sjö fingur á kistuloki
tennur grafnar á afviknum stað
fuglsvængir negldir á liðamótég tel augnhár mín
í herberginu sem þú fæddist íekki hefna þín
selbstporträt
sieben finger auf meinem sargdeckel
zähne begraben an einem abgelegenen ort
vogelflügel genagelt aufs gelenkich zähle meine wimpern
im zimmer in dem du geboren wurdesträche dich nicht
Und nun nochmals Glückwunsch zum Isländischen Literaturpreis, lieber Sjón – verbunden mit der Hoffnung, das ausgezeichnete Werk bald auch in deutscher Übersetzung lesen zu können!
Hat dies auf Ich sag mal rebloggt.
Einmal mehr, lieber Gunnar: Dank für´s Weiterreichen!
Ist ja auch eine sehr anregende Serie.
schön 🙂
ich lese seit geraumer zeit alles mögliche von isländischen Autorinnen und Autoren, vor allem baldursdottir, aber auch steinsdottir und gudmundsson…
lg vom lu
Das freut mich! Ich hoffe, welche Titel auch immer es von den Töchtern und Söhnen sind (es gibt ja keine Nachnamen im Isländischen – weshalb ich auch gar nicht sicher, bin, wer die gelesenen AutorInnen sind – vermute aber zumindest, dass es sich bei Steinsdóttir um Kristín und bei Gudmundsson um Einar Már handelt…), dass sie gefallen… Das Urteil würde mich interessieren!
Gute Grüße, Wolfgang Schiffer
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