Ein Abend mit Swetlana Alexijewitsch, der Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2013

Auf der Bühne. V.l.n.r. Nadja Simon, Svetlana Alexijewitsch, Elisabeth von Thadden © Wolfgang Schiffer

Unterstützt wurden sie dabei von der Übersetzerin Nadja Simon; die Schauspielerin Therese Dürrenberger las Textpassagen aus Alexijewitschs jüngstem Werk, der mehr als 500 Seiten umfassenden, von der FAZ als „Roman der Stimmen“ gekennzeichneten dokumentarischen Prosa „Secondhand-Zeit – Leben auf den Trümmern des Sozialismus“, die vor wenigen Wochen in deutscher Übersetzung im Hanser Verlag Berlin erschienen ist.
Es war ein eindrucksvoller Abend! Svetlana Alexijewitsch, bei der feierlichen Verleihung des Friedenspreises am Tag zuvor von ihrem Laudator, dem Historiker Karl Schlögel, als „Archäologin der kommunistischen Lebenswelt“ gewürdigt, ließ keinen Zweifel daran, dass der Mentalitätsgeschichte des sowjetischen Menschen, des „Homo Sovieticus“, der sie in Tausenden zur Literatur verdichteten Stimmen von Zeitgenossen bereits nachgespürt ist (u. a. „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, „Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg“, „Zinkjungen“, „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“), auch in der post-sowjetischen Ära kaum neue, zukunftsweisende Facetten hinzuzuschreiben sind.
„Von der Freiheit ist nur das Wort übrig geblieben“, so sagt sie, weil man vergessen habe, dem Volk zu sagen, dass Freiheit Arbeit ist. Das Volk warte stattdessen auf ein Wunder, und da dieses nicht eintrete, mache sich Enttäuschung breit, Enttäuschung, in der, gefördert durch die anhaltende mentale Rückwärtsgewandtheit auf den „Großen Vaterländischen Krieg“, selbst Stalin wieder zum Helden der Geschichte werde. Und die Proteste gegen Putin in Russland und Lukaschenko in Weißrussland, wo sie trotz der erfahrenen Repressionen nach Jahren des Exils nun wieder lebt? Sie kämen von wenigen, vor allem jungen und erfolgreichen Menschen; das breite Volk jedoch schweige und sehne sich aus Angst vor Veränderungen zurück nach der UDSSR.In ihrer Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sagt Svetlana Alexijewitsch:
Ich habe den größten Teil meines Lebens in der Sowjetunion verbracht. Im kommunistischen Versuchslabor. Auf dem Tor des schrecklichen Lagers auf den Solowki-Inseln hing die Losung: „Mit eiserner Hand zwingen wir die Menschheit zum Glück“. Der Kommunismus hatte einen aberwitzigen Plan – den alten Menschen, den alten Adam, umzumodeln. Und das ist gelungen. Es ist vielleicht das Einzige, was gelungen ist.
Bitterer kann man Enttäuschung kaum zur Sprache bringen. Und dennoch: Selbst in Leben unter solcher Doktrin gibt es Glück. Auch davon zeugen manche Beispiele „übersehener Geschichte“ in dem äußerst lesenswerten Buch „Secondhand-Zeit“.
Hat dies auf Ich sag mal rebloggt.
Das Buch begegnet mir jetzt schon zum wiederholten Male. Und nach diesem Artikel möchte ich es definitiv in meinem „noch zu lesen „Bücherstapel haben.
Das freut mich! Das hierin aus vielen Stimmen verdichtete Kaleidoskop an Erfahrungen und Schicksalen ist m. E. eine wirklich lohnenswerte Lektüre. Ich bin übrigens erstmals so richtig aufmerksam geworden auf diese Autorin, als sie, ich glaub, Ende der 90er, ihr Buch „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“ veröffentlicht hat… Gute Grüße, Wolfgang Schiffer
Sehr bewegte Bücher, die ich bei Gelegenheit unbedingt lesen sollte. Ich denke, dass diese sehr emotional geschrieben sind. Auch gratuliere ich hiermit der Schriftstellerin für den wohlverdienten Preis ihrere Werke.
Danke für Ihren Kommentar, lieber Herr Dr. Franke. Gute Grüße, Wolfgang Schiffer
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