… ein Rhizom, das dazu anstiftet, es wachsen zu lassen, indem man es fortschreibt …

Manchen Verlegern dient Holz nicht nur als Papier, sondern auch als Brett vor dem Kopf © Wolfgang Schiffer
So geschah mir, als ich letztlich in der Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik „die horen“ Ulrich Faures Rezension „Willkommen in der Hölle“ zu dem neuen Roman „Beelzebub I – V“ von Stefan Schütz las. Ich erinnerte mich wieder, den Autor Anfang der 1980er Jahre zunächst als Dramatiker wahrgenommen zu haben. Zu dieser Zeit war ich viel unterwegs in den Schauspielhäusern Nordrhein-Westfalens, so auch in Wuppertal, als das dortige, seit einigen Monaten aus Kostengründen geschlossene Schauspielhaus noch eine spielfreudige Stätte war.
Stefan Schütz, 1944 in Memel geboren, arbeitete dort nach seiner kurz zuvor erfolgten Ausreise in den Westen für ein oder zwei Jahre als Autor und Dramaturg und seine Bühnenstücke, von denen er bereits einige (die zumeist unaufgeführt blieben) noch in seiner DDR-Zeit geschrieben hatte, fanden nun endlich Platz in den Spielplänen so mancher Theaterhäuser der BRD.
Damals in Wuppertal sah ich „Odysseus Heimkehr“, ein zeitbezogenes Stück zum Thema Macht und deren Missbrauch, gekleidet im Gewand des bekannten mythischen Stoffs – wenn ich mich recht erinnere, war da viel Schlamm auf der schräg gestellten (?) Bühne, die Darsteller traten bis auf den heimgekehrten Odysseus alle mit einer festen Schorfschicht am Körper auf, eine Ausstattung, die in ihrer archaischen Anmutung heute manchen Theaterkritiker begeistern würde…
Nach weiteren Bühnenstücken erschien dann 1986 die erste Prosa von Stefan Schütz, der Roman „Medusa“ im Rowohlt Verlag. Für dessen Manuskript war ihm ein Jahr zuvor der „Alfred-Döblin-Preis“ zuerkannt worden, eine Auszeichnung, die nicht nur meine Neugier schürte. Es war, es ist ein gewaltiges Werk, und das nicht nur wegen seiner beinahe 900 Seiten, die, angelehnt an Dantes „Göttlicher Komödie“, den Leser in eine geradezu expressionistisch daherkommende Choreographie von Bildern und Wörtern, in ein Vexierspiel der Assoziationen und Verweise einsaugen wie der riesige Anus, der sich auf der Friedrichstraße in Berlin auftut und alle Passanten in die Unterwelt des Sozialismus à la DDR verschwinden lässt. Als einen monumentalen DDR-Roman hat man dieses Werk so auch zumeist gesehen und dabei vielleicht übersehen, dass sich die surreale Traumreise seiner Heldin Marie Flaam und deren Führerin Gorga Sappho zwar auf das sozialistische Gewaltsystem bezieht, zugleich aber jedes System der Macht infrage stellt, das die Individualität des Menschen, seine auf radikaler Subjektivität beruhenden Erfahrungsmöglichkeiten in Schranken setzt.
In „Galaxas Hochzeit“, ein weiterer von mir seinerzeit gelesener Roman (Suhrkamp Verlag 1993), wird diese grundlegende Kritik aus verschiedenen zeitlichen Blickwinkeln gar in eine wenig verheißungsvolle Zukunft ausgedehnt, die uns heute allerdings gar nicht mehr so apokalyptisch vorkommt, wie seinerzeit wohl gedacht: die Menschen glauben zwar, Herr ihres Geschickes zu sein, doch es ist längst der Computer „Galaxa“, der das Rad der Geschichte dreht, an deren Ende womöglich das Ende der Menschheit steht.
Soweit meine aufgefrischten Erinnerungen, ausgelöst durch die Lektüre einer Rezension, die mich beglückt sein ließ wegen eben dieses Erinnerungsanstoßes und der Aussicht auf ein neues, aktuelles literarisches Werk des Autors. Ich muss sie allerdings (vielleicht wegen dieses Glücksgefühls) doch zu flüchtig gelesen haben, denn als ich in die nächstgelegene, mir als wohl sortiert bekannte Buchhandlung ging, um „Beelzebub I – V“ zu kaufen, wurde mir nach einiger Zeit der Recherche beschieden, dass es das Buch nicht gebe. Zumindest sei es auf dem Markt, sprich im Buchhandel, nicht erhältlich. Ich las die Rezension ein weiteres Mal, diesmal entschieden aufmerksamer, und siehe da: Stefan Schütz, ein mit Preisen ausgezeichneter Autor, über den 1997 die verdienstvolle Edition „Text + Kritik“ noch einen Materialienband veröffentlichte, hatte für sein neuestes Werk keinen Verlag mehr gefunden – es erschien 2011 als Edition UTU getarnter Eigendruck und ist direkt beim Autor (webmaster@StefanSchuetzAutor.de) zu beziehen und/oder über Amazon.
Ihr lieben Verlegerinnen und Verleger, was denkt Ihr Euch eigentlich dabei?!
Nun, ich habe das Buch inzwischen, sogar mit einer freundlichen Widmung des Autors, und ich habe angefangen zu lesen. Und auch wenn sich die gut 800 Seiten über Herrn Julian Mark, zunächst Angestellter beim Antiquar Ludwig Krähfuß, der sich von einem erlebnis- und erkenntnishungrigen, dem Faust ähnlichen jungen Mann selber in einen kleinen Teufel wandelt, meines Erachtens nicht gerade zur Strandlektüre anbieten, sondern konzentrierte, kraftvolle Leser fordern, die der sprachlich deftig gewürzten und mit unzähligen Anspielungen und Verweisen gespickten Reise des Protagonisten durch die Zeiten und Welten, durch hiesige und ferne Landschaften, durch alte und moderne Höllen zu folgen bereit sind, – ich gebe die Lektüre dieses einem anarchisch mäandernden Wurzelgeflecht gleichen Literatur-Brockens nicht auf. Ich will wissen, ob am Ende stimmt, was der Autor selbst im Roman über sein liebevoll Bub genanntes Buch sagt: „Mein Bub ist ein schöner diabolischer Entwicklungsroman, der mit Speed und Karacho, vorbei an der schöngeistigen Literatur, quer durchs Triviale hin zu neuen Ufern führt.“
Und ich wünsche Buch und Autor, dass viele weitere Leserinnen und Leser dies ebenfalls wissen möchten.
lieber wolfgang, wie recht du hast, was die verleger betrifft. viele leibe grüße regina
Regina Wyrwoll ARCultMedia GmbH Director Arts Projects / International Relations Sürther Hauptstr. 76 D-50999 Köln Tel/Fax: +49-(0)2236-5097972 mobil: +49-(0)177-7411946 http://www.arcultmedia.de
Dank für die Zustimmung zu meiner Kritik, liebe Regina! Es wirft wirklich kein gutes Licht auf unseren Literaturbetrieb. Hoffen wir, dass dies zukünftig korrigiert wird, denn der Autor ist alles andere als „ausgeschrieben“… Liebe Grüße Wolfgang
Habe das Titelblatt von „Medusa“ in Erinnerung, aber noch nichts von Stefan Schütz gelesen. Nach dieser fulminanten Übersicht über seine Werke müsste sich das demnächst ändern!
Danke! Bin gespannt auf die Leseeindrücke!
Naja, die Kritik an den Verlegern hat bereits lange ihre Blüten getrieben, indem speziell im englischsprachigen, aber auch zunehmend im deutschsprachigen Bereich viele auch arrivierte Autoren sich selbst verlegen. Das Selbstverständnis des Verlegers und des Autors ändert sich gerade drastisch. Ich sehe es ja bei mir als Autor mit 1.5 Mio Weltauflage in 25 Sprachen, ich bin zu einem Unternehmer geworden mit PR-Abteilung, Lektorat etc., alles unabhängig von Verlegern. Das haben sich die Verleger selbst zuzuschreiben, dass man sich heute als Autor fragt, wenn man ein Buch hat, dem man gute Chancen auf dem Weltmarkt einräumt – oder zumindest in Deutsch und Englisch -, ob man es nicht besser selbst verlegt.
Es ist doch gar nicht dagegen zu haben, dass man heute selbst seine Literatur verlegt und bei Amazon vertreibt.
Herzliche Grüße von der hochsommerlichen Küste Nord Norfolks
Klausbernd 🙂
Lieber Klausbernd, ich bitte um Nachsicht, ich komme erst heute zu einer Antwort, da ich mich in Island nicht mit diversen Wlan-Blockierungen beschäftigen wollte… Ich kenne den beschriebenen Trend, weiß aber, dass es noch genügend Autoren gibt, die eben nicht zu Unternehmern werden wollen! Und viele von ihnen legen auch Wert auf ein gutes Lektorat! Viele Leser übrigens auch! Wie auch immer, das Wort wird seinen Weg finden! Und jetzt gehe ich nach einem Nachtflug endlich zu Bett! Gute Grüße Wolfgang