Übersetzen jedoch ist, wie die Literatur selbst, eine besondere Form der Kunst; es erfordert nicht nur die Kenntnis einer anderen Sprache und ein hohe Virtuosität im Umgang mit der eigenen, sie setzt vor allem einen speziellen Sinn für die fremde Sprache, die andere Kultur usw. voraus, und nur, wenn all dies zusammenwirkt, wird uns, dem Leser, das Verstehen und das „Einfühlen“ in das Andere erst möglich. Nur dann lese ich den Autor, den ich schon immer einmal lesen wollte.
Auf verblüffend-unterhaltsame Weise hat mir und vielen anderen Teilnehmern dies jetzt noch einmal eine literarische Veranstaltung eindrücklich und klar vor Augen geführt; sie stand unter dem Titel „Vom Übersetzen und Neuübersetzen“ und fand heute, den 16. Juni, als Matinee im Literaturhaus Köln statt.

Hinrich Schmidt-Henkel, Claudia Ott, Alexander Nitzberg, Frank Heibert (v.l.n.r.) © Wolfgang Schiffer
Claudia Ott, als Entdeckerin und Übersetzerin von „Hundertundeine Nacht“ (Manesse Verlag) gefeiert, stellte ihre nicht minder gelobte Neuübersetzung von „Tausendundeine Nacht“ (C.H. Beck Verlag) vor und erläuterte die vorherige Editions- und Übersetzungsgeschichte dieses Werkes der Weltliteratur. Im Vergleich der von ihr auswendig im arabischen Original und in ihrer diesem Original folgenden Übersetzung vorgetragenen Ausschnitte wurde die Stimmigkeit des hier durchgängig erzielten literarischen Gestus und der Erzählhaltung hörbar.
„Meister und Margarita“ heißt im Titel die Neuübersetzung, die Alexander Nitzberg von Michail Bulgakows Schlüsselwerk der russischen Moderne, so die Einordnung des Übersetzers, 2012 im Galiani Verlag veröffentlichte. Nitzberg, neben eigener Poesie vor allem bekannt als Übersetzer russischer Lyrik, gab an, dass ihn Prosa vor allem dann interessiere, wenn sie mit starken poetischen Elementen aufgeladen sei – und genau dies mache Bulgakows Werk aus. Im Gegensatz zu früheren Übersetzungen sei es ihm nun darum gegangen, dieses Werk als das Kaleidoskop von Phantasmen, das es nun einmal sei, in seinem Klang und Rhythmus rau und grell zum Klingen zu bringen. Die vorgetragenen Textproben bewiesen, wie sehr dies gelungen ist.
Frank Heibert schließlich stellte einen ersten Auszug aus einer Arbeit vor, die er derzeit für den Rowohlt Verlag unternimmt, der Neuübersetzung des von William Faulkner 1929 veröffentlichten Romans „The Sound and the Fury“, 1956 unter dem Titel „Schall und Wahn“ erstmals auf Deutsch erschienen. Eindrucksvoll berichtete er von den Herausforderungen einer Übertragung insbesondere jener langen Dialogpassagen, in denen Faulkner den schwarzen Bediensteten in diesem Familiendrama eine eigene Stimme gibt, indem er sie in einem für sie typischen Südstaaten-Idiom sprechen lässt. Doch wie dieses ins Deutsche übertragen? Weder ein Kunstdialekt noch der tatsächlich gesprochene einer bestimmten Region könnten dies leisten, ohne Gefahr zu laufen, die Charaktere falsch zu verorten oder gar der Lächerlichkeit preiszugeben. Auf Frank Heiberts Lösung dieses Problems bleibe ich gespannt!
In allen drei vorgestellten Fällen handelt es sich um Neuübersetzungen von Klassikern, ein (m. E. guter) literarischer Trend, dessen Ergebnisse bereits in der Vergangenheit Aufsehen erregt haben, denken wir nur an die Neuübersetzungen von Herman Melvilles „Moby Dick“, an die von Leo Tolstois „Anna Karenina“ oder an jene von Louis-Ferdinand Celines „Reise ans Ende der Nacht“, die 2004 vom Moderator der Veranstaltung Hinrich Schmidt-Henkel geleistet und von der Kritik als „sensationell“ bezeichnet wurde.
Einig waren sich die im Literaturhaus Köln anwesenden Übersetzer jedoch darin, dass es im Vergleich verschiedener Übersetzungen zumeist nicht um die Frage nach dem „besser“ oder „schlechter“ gehe – sie alle seien auf ihre Weise „richtig“. Neue Übersetzungen seien nur „krass anders“.
Einig war man sich auch, dass man beim Neuübersetzen die Lektüre früherer Übersetzungen möglichst meiden solle; Alexander Nitzberg erwähnte in dem Zusammenhang die große russische Dichterin Anna Achmatowa und zitierte deren Aussage, dass dies die eigene Arbeit gar „vergiften“ könne.
Und schließlich bestätigte ein Nicken aller auch die Anmerkung, dass sich die Wörter nicht im Wörterbuch finden ließen, sondern nur, wenn man aufstehe und sich hineinversetze in die Figur, die Szene, die Zeit… Wohl wahr, denn nur so entstehen diese alle wahrhaftig vor unserem lesenden inneren Auge!
Ein Letztes: Kooperationspartner der Matinee-Veranstaltung im Literaturhaus Köln waren Weltlesebühne e.V. und die Kunststiftung NRW. Letztere fördert die Arbeit des Übersetzens seit vielen Jahren auf vielfältige Weise und hat u. a. in diesem Jahr bereits zum zehnten Mal die Kunst des Übersetzens mit einem Übersetzerpreis ausgezeichnet; nach dem Ort der Vergabe, dem Europäischen Übersetzer-Kollegium, heißt dieser Preis seit diesem Jahr „Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW“.
Das war wirklich eine mal wieder hochinteressante Veranstaltung im Literaturhaus. Hoffentlich gibt es die Möglichkeit, sie zum Anfang einer Reihe zum Thema Übersetzen zu machen.
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